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Die wundersame Reise einer finnischen Gebetsmühle

Die wundersame Reise einer finnischen Gebetsmühle

Titel: Die wundersame Reise einer finnischen Gebetsmühle
Autoren: Arto Paasilinna
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    Am Horizont des in Nebel getauchten Inselarchipels konnte man undeutlich eine seltsame Boje ausmachen, die nicht auf der Seekarte verzeichnet war. Über ihr schwebte kreischend ein Schwarm neugieriger Möwen. Für ein Seezeichen war das Gebilde allerdings zu kompakt und zu kurz, wie ein stumpfer Brocken ragte es aus einer Untiefe im Meer empor. Und so entpuppte es sich aus der Nähe betrachtet denn auch als Mensch. Tatsächlich stand dort ein Mann bis zur Taille im windstillen Meer. Ab und zu entrangen sich seiner Kehle dumpfe Hilferufe, die niemand hörte.
    Der Mann im Meer war Entwicklungschef in einer Immobilienfirma und hieß Lauri Lonkonen. Er trug einen durchnässten hellgrauen Sommeranzug, eine blaue Seidenkrawatte und in der Brusttasche ein gleichfarbiges Einstecktuch. Er war kräftig gebaut und um die vierzig. Der Mann versuchte, die Möwen, die ihn bedrängten, zu verscheuchen. Von Zeit zu Zeit landete eines der Tiere frech auf seinem Kopf, um sich die Federn zu putzen und anschließend in seinem Haar einen Klacks zu hinterlassen.
    Lauri Lonkonen balancierte vorsichtig auf dem Felsen, der unter dem Wasser aufragte. Dessen mit Algen bedeckte Oberfläche war so glatt, dass er keinen Schritt zu machen wagte aus Angst, er könnte ins Meer stürzen. Und Lauri wusste, dass das nichts Gutes zur Folge hätte. Zurzeit, Anfang Juni, blieben die Abende lange hell, aber das Meerwasser war kalt, die Bedingungen schwierig. Wegen des Nebels konnte man weder eine der Inseln noch das Festland sehen. So blieb Lauri nur die Hoffnung, dass das Wetter aufklarte, dennoch schickte er auch ein hilfloses Stoßgebet zum Himmel: Möge das ruhige Wetter anhalten und kein Seegang aufkommen. Die gelegentlich von fern her eintreffende, lautlose Dünung durchnässte seine ohnehin feuchte Kleidung schon jetzt bis zu den Schultern, manchmal sogar bis zum Kinn. Lauri sagte sich, dass nun also das Ende seines Lebens ganz nahe wäre. Es würde ein einsamer Tod durch Ertrinken im offenen Meer sein. Die rabiaten Möwen machten ihm mit ihrer Anwesenheit sein schweres Schicksal auch nicht leichter.
    Lauri Lonkonen nahm sich vor, nicht klein beizugeben. Er hatte Familie – eine einigermaßen nette Ehefrau und zwei heranwachsende Söhne, die er in dieser harten Welt noch nicht sich selbst überlassen konnte. Lauri hatte von Beginn an nach besten Kräften für sie gesorgt. Er war ein anständiger Mann, wohnte in Espoo und kümmerte sich mit Freuden um den kleinen Vorgarten seines Reihenhauses und die vielen Hobbys seiner Familie. Lauri war auch kein besonders eifriger Trinker, nein, obwohl er im Laufe seines Berufslebens sogar zeitweise als Journalist gearbeitet hatte. Und soeben hatte sich ihm wieder eine neue Lebensphase eröffnet, denn seine Arbeit als Entwicklungschef in der Immobilienfirma war am Vortag zu Ende gegangen. Genau deshalb stand Lauri Lonkonen mit klatschnassem Ausgehanzug im frühjahrskalten Meer. Eigentlich war es geradezu ein Wunder, dass nicht längst sein Leichnam im Finnischen Meerbusen umhertrieb oder, auch das hätte passieren können, geradewegs auf den Meeresgrund gesunken war, denn Lauri war vor ein paar Stunden von der Leiter eines Swimmingpools auf einem schnellen Ausflugsboot ins Wasser gefallen. Auf der Welt passieren bedauerlich oft Unglücksfälle, große und kleine, das nimmt nie ein Ende.
    Lauri hatte an einer Klausurtagung seiner Firma teilgenommen, die im Kasino von Hanko stattgefunden hatte. Die zwanzig Mitarbeiter der Immobilienfirma Wohnwelt waren mit einem Charterbus von Helsinki nach Hanko chauffiert worden, dort hatten sie sich zurückgezogen, um über die weiteren Entwicklungen in der Firma und die daraus resultierenden Herausforderungen zu beraten. Man hatte sachlich diskutiert und sich für die Firma ins Zeug gelegt. Lauri Lonkonen hatte einen gut vorbereiteten Vortrag gehalten und neue Ideen präsentiert, deren Verwirklichung der kleinen Immobilienfirma auf dem umkämpften Wohnungsmarkt zum Aufstieg in die obere Mittelklasse verhelfen sollten. Ihm schwebte vor, für die Kunden eine ganz eigene Lebensphilosophie zu entwickeln, bei der es nicht mehr nur ums bloße Wohnen in trockenen Räumen gehen sollte. Der Mensch sollte sich ein Nest schaffen können, dieses nach seinem eigenen Geschmack und dem seiner Familie einrichten und gleichsam in der Wohnung leben, als wäre sie ein Pyjama, den man zur Nacht überstreift. Die Wohnung würde dann über ihn ebenso viel aussagen wie ein Kleiderensemble samt
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