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Und im Zweifel fuer dich selbst

Und im Zweifel fuer dich selbst

Titel: Und im Zweifel fuer dich selbst
Autoren: Elisabeth Rank
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Man könne nicht an dem Tisch arbeiten, an dem man auch esse. Also gab es ein Brett, das mit Scharnieren an einer Holzleiste an der Wand befestigt war. Das konnte man hochklappen und fixieren, sodass maneine gerade kleine Platte vor sich hatte, auf die man sich zwar nicht stützen durfte, aber für zwei Teller und eine Kanne war Platz. Und man konnte aus dem Fenster sehen auf den Balkon der Nachbarn gegenüber. Die restlichen Frühstücksutensilien drapierte Friedrich auf einem kleinen Hocker daneben, der Saft stand meistens auf dem Boden. In Boxershorts holte er den Toast aus der Kochnische, der Toaster stand in einer Schublade, die man aufziehen musste, wenn man toasten wollte. Nach dem Gebrauch musste man eine Weile warten, damit der Toaster abkühlte, erst dann konnte man die Schublade wieder schließen. Aber wenn man sie öffnete, roch es gut nach frischen, schwarzen Krümeln, immer nach Brot und manchmal, wenn ich morgens zu früh wach war, wenn Friedrich noch schlief und ich aufs Klo musste, öffnete ich sie, um kurz daran zu riechen und danach wieder ins Bett zu gehen.
    Er legte die Toastscheiben auf die Teller, eine für jeden. Und während er noch einmal zurück zur Kochnische ging, fragte er mich, ob ich Kinder wolle. Erst antwortete ich nicht, weil ich ihn nicht richtig gehört hatte, und nachfragen war mir schon immer zuwider. Wenn es wichtig war, würde er es noch einmal sagen. »Willst du eigentlich Kinder?« Friedrich setzte sich mir gegenüber und sah mir direkt in die Augen, dabei legte er eine Hand auf mein Knie und ich fragte mich, was das werden sollte, wir waren ja hier nicht bei Nur die Liebe zählt . Ich zog mein Knie weg und begann, großzügig Pflaumenmus auf meinem Brot zu verteilen. »Hm?« Er ließ nicht locker, und ich wusste keine Antwort. Das war der Moment, in dem ich mir zum erstenMal aussuchen konnte, ob ich wollte, weil ich dazu in der Lage gewesen wäre, weil man mir mittlerweile manchmal sagte, ich sei so erwachsen geworden. Dabei hatte ich damit gerade erst begonnen, aber selbst wenn man gerade erst mit etwas angefangen hat, ist es meistens schon zu spät und man ist mittendrin. »Schon«, sagte ich, als ich fertig war mit dem Schmieren. »Ja«, als ich den ersten Bissen im Mund hatte. Friedrich schaute immer noch, die Hand lag jetzt auf seinem Oberschenkel, er wackelte mit dem Fuß, und ich spürte das Zittern seines Stuhls. Dass er eigentlich wissen wollte, ob ich Kinder mit ihm wolle, war mir klar, aber er musste es schon aussprechen. Stattdessen aß Friedrich nur seinen Toast, trocken, ohne was drauf, und wir schauten den Nachbarn dabei zu, wie sie die Winterreste aus den Blumenkästen zupften und sich ihre frisch gebügelten Jeans mit Erde einsauten.

    Während ich in Gedanken mein Adressbuch nach Menschen durchsuchte, bei denen ich mir Abgeklärtheit vorstellen konnte, schlief Lene oder tat zumindest so. Vince fiel mir ein und seine Art, die Dinge zu verdrängen. Verdrängte Dinge waren für ihn einfach verschwunden, er hatte sich mit ihnen nicht weiter zu beschäftigen. Darin war er gut, den Wink mit dem Arm, den es dafür benötigte, hatte er perfektioniert, den konnte er im Schlaf. Bis zum letzten Sommer waren wir uns immer nur sporadisch über den Weg gelaufen, er war bei Lene eingezogen, hatte kaum Sachen gehabt, nur das Nötigste. Wir mussten nichtschleppen, er machte das ganz allein, drei Bananenkisten und zwei große Reisetaschen. Neben dem Auto standen noch eine Matratze, eine Schreibtischplatte und Tischbeine. Wenn er einen Stuhl brauchte, holte er ihn sich aus der Küche, aber meistens saß er auf dem Fensterbrett oder neben der Heizung auf dem Boden, seinen Rechner auf dem Schoß, das Mobiltelefon neben dem Bein wie seine Hand neben meiner manchmal, sein Überleben war gesichert, so verharrte er Tage und Wochen. Und manchmal klingelte er bei mir, manchmal suchte er Lene, manchmal vielleicht mich, aber er kam immer mit dem Rad, und wenn Friedrich nicht gerade ebenfalls da war, blieb er eine Weile. Das war der September. Mindestens einmal die Woche saßen wir unter der orangefarbenen Markise vor dem Backsteinhaus. Anfangs schien uns die Sonne noch ins Gesicht, aber schnell wanderte sie über den Bauch, bis sie irgendwann nur noch unsere Füße erreichte. Wenn es zu kalt war, gab er mir seinen Pullover. Die Markise wurde eingeholt, es war Zeit, den Dingen ins Gesicht zu sehen und Kuchen in die Vitrine zu stellen, in der im Sommer noch fünf Sorten Eis ihren Platz
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