Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und im Zweifel fuer dich selbst

Und im Zweifel fuer dich selbst

Titel: Und im Zweifel fuer dich selbst
Autoren: Elisabeth Rank
Vom Netzwerk:
im Hintergrund, aus einer Tür kam ein dicker Mann ohne Unterhemd. Ein Rest Rasierschaum hing noch an seinem Kinn. Wir sahen uns direkt in die Augen, dann schaute ich weg. Als ich mich noch einmal umdrehte, war er verschwunden. Hinter der elektronischen Schiebetür stand ein kleiner, blauer Automat, der nach Einwurf von Geld Plastikmünzen für die Duschen ausspuckte, aber ich hatte kein Handtuch und auch irgendwie keine Lust auf fremde, nackte Menschen. Also schaute ich in die Regale, die links und rechts meine Leitplanken bildeten, stand eine Weile ratlos vor den Magazinen und Zeitschriften herum und entschied mich endlich für ein paar Schokoriegel und ein bisschen Obst, für das ich ein kleines Vermögen ausgab. In der Schlange zur Kasse stand der Typ von eben plötzlich hinter mir, tippelte mit seinem Fuß nervös auf dem Boden herumund zwinkerte mir grinsend zu. Ich bezahlte hastig und verließ den Laden. Als ich um die Ecke auf den Parkplatz bog, sah ich Lenes Beine aus dem offenen Kofferraum baumeln. Ich setzte mich zu ihr, sie hatte die Sitzbänke zurückgeklappt und eine Decke drüber gelegt. »Man kann hier auch schlafen zur Not«, meinte sie, nachdem sie kurz aufgesehen und dann auf dem Rücken liegend die Arme wieder über dem Gesicht verschränkt hatte. »Ich schlaf lieber ohne Publikum«, meinte ich und sah mich noch einmal nach dem Typen um. Aber außer den Jugendlichen und dem klingelnden Dackel war kaum jemand zu sehen. Ich atmete auf, Lene fragte, ob alles okay sei, und ich nickte nur und legte mich dann zu ihr. »Apfel?«, fragte ich und packte einen Schokoriegel aus. Aber Lene lehnte ab und so lagen wir einfach im Auto und rauchten. Die Zeit verging und Autos kamen und fuhren wieder davon und manchmal schrien Mütter nach ihren Kindern. Schritte trippelten über den Asphalt, Tüten und Taschen raschelten, hin und wieder übertönten Lastwagen dröhnend alles andere, manchmal dudelte im Hintergrund ein Autoradio. Langsam dämmerte ich weg. Als ich aufschreckte, war Lene fort. Die Äpfel lagen noch unangetastet an der Stelle, wo ich sie vorher abgelegt hatte, aber das Licht hatte sich verändert. Plötzlich wimmelte es nur so von Menschen auf dem Rastplatz, ich fiel nicht auf dazwischen, ich war vielleicht gar nicht da.
    Als ich erneut die Tankstelle betrat, erschrak ich. Die Musik war viel lauter als vorher, sie brandete mir entgegen, und ich blieb direkt hinter der automatischen Tür stehen, sodass diese immer wieder auf und zu ging. Wir hatten bisher keinRadio gehört, hatten keine CDs oder Tapes dabei, und ich war gar nicht auf die Idee gekommen, meinen MP3-Player einzupacken, als Lene mich abgeholt hatte. Man denkt nicht an Melodien oder Lieder oder Zeitvertreib, wenn so was passiert, jedenfalls nicht sofort. Und nun stand diese kleine, blonde Frau mit den Ringellocken, der Schirmmütze und dem passenden Polohemd hinter dem Tresen, sortierte Zigarettenschachteln in die Fächer und summte das Lied mit, das gerade lief. Keiner achtete auf sie, aber sie tänzelte hin und her, wackelte mit den Hüften, schnippte mit den langen, weißen Fingernägeln auf jede Packung, die sie in das Regal gesteckt hatte, und konnte zwar nicht den ganzen Text, aber immer wieder ein paar Fragmente mitsingen. Es war irgendein R&B-Song, einer von denen, die ich nie auseinander halten kann. Aber eben auch einer von denen, die man aus Versehen summt, die einen manchmal sogar tagelang verfolgen, bis man vor sich selbst erschrickt. Eines von den Liedern, die eigentlich keinem weh tun. Plötzlich spürte ich Lenes kalte Hand an meiner. Sie drückte zu, und ich wusste sofort, was sie meinte.
2
    Wir waren am Donnerstag losgefahren. Ich hatte am Vormittag meine letzte Klausur geschrieben, erst danach schaltete ich das Handy an und sah, dass Lene siebzehn Malversucht hatte, mich zu erreichen. Die Nachricht auf der Mailbox hörte ich erst ab, als ich schon von der Uni nach Hause gefahren war, mir eine Tiefkühlpizza gekauft und in der Wohnung meine Jogginghose angezogen hatte. Lene nannte zuerst die Uhrzeit, dann sagte sie, dass sie zuhause sei. Sekundenlange Stille, lautes Atmen. »Tim hatte einen Unfall«, sagte sie dann. »Er lebt nicht mehr.« Dann legte sie auf. Ich hatte die Pizza gerade aus dem Karton geholt, vergaß sie aber, noch in Klarsichtfolie eingeschweißt, auf dem Schuhschrank und suchte das Festnetztelefon. Es lag im Bad neben der Wanne, ich setzte mich auf den Wannenrand, meine Hände zitterten. Im meinem Kopf
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher