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Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel
Autoren: Nick Cave
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– es wäre vollkommen richtig! Ja! Ich war ein verdammt geprügeltes Baby !
IV
    Anfang 1940 wurden zwei Körperschaften zu einer Versammlung ins Rathaus einberufen – die Ukulore Valley Zuckerkommission und die Führung der Ukuliten.
    Die behördlichen Vertreter der Zuckerarbeiter und ihrer Familien hatten einen Antrag eingebracht, in dem unter anderem der Vorschlag gemacht wurde, ein unitarisches Gotteshaus zu errichten, das den Bedürfnissen der nicht dem ukulitischen Glauben anhängenden Bewohner des Tals gerecht werden sollte, wobei darauf hingewiesen wurde, daß volle 80% der annähernd 2100 Einwohner zur Zeit keinerlei kirchlichen Beistand hätten. Man gehe davon aus, daß die Versammlung der beiden Parteien im Interesse von »Gleichheit« und »guten Beziehungen« und als »Geste fortgesetzten Einvernehmens« zwischen den beiden Gruppen diesem Vorschlag ohne weiteres zustimmen werde. Obwohl das Ergebnis von vornherein feststand, konnten die Arbeiter es als Triumph verbuchen.
    Sardus Swift, der genau wußte, daß er unter Druck gesetzt wurde, hatte dem Vorschlag zugestimmt und dann mit einer ebenso unausweichlichen wie großmütigen Geste hinzugefügt: »Gemäß meinem Glauben, daß ein wohlhabender Geist sich stets in einem Geist des Wohlstandes bekundet, und als Führer der Ukulitenkolonie und Vertreter der Landbesitzer, übernehme ich hiermit die Verantwortung für die Zuweisung eines geeigneten Stück Landes und werde darüber hinaus für sämtliche Baukosten persönlich aufkommen.«
    Die Zuckerkommission (oder UVZK) erbot sich unter Hinweis darauf, daß etliche Bauunternehmen in Vargustone derzeit ihrer Aufsicht unterlägen, die Ausführung der Bauarbeiten in die Hand zu nehmen. Demgemäß wurden – zu einem Bruchteil der Kosten, die den im Kleinen sparsamen, im Großen verschwenderischen Ukuliten angegeben worden waren – die Dienste einer berüchtigten Baufirma in Anspruch genommen, die durch eine Reihe von Prozessen und unablässige wüste Beschimpfungen seitens der lokalen Presse dazu gezwungen worden war, ihre Werbestrategie von »Kreativer Architektur« in »Bauen zu Schleuderpreisen« umzuändern.
    Ende 1937 wurde auf einer vier Morgen großen Anhöhe (die paradoxerweise als Ruhmes-Ebene bekannt wurde) von der Vargus Baufirma und einer Handvoll Arbeiter das Fundament dessen gelegt, was, wie sie verhießen, vom Schicksal dazu ausersehen sei, als himmelhoher Sprung in der Systematisierung des Gottesdienstes in die Geschichte einzugehen.
    Doch himmelhoch war die Kirche auf der Ruhmes-Ebene keineswegs. Das Schicksal wollte sich eben nicht so einfach weissagen lassen.
    Denn die Kirche auf der Ruhmes-Ebene wurde niemals fertig, und die Jahre des Unheils rückten näher.
    Sardus Swift war müde und wortkarg aus dem Rathaus gekommen, bedrängt von Schuldgefühlen und Abscheu vor seiner Schwäche; denn er wußte so sicher, als befände er sich im Krieg, daß er sein Königreich den Eroberern ausgeliefert hatte. Und mochte man auch seine Ankündigung schweigend hingenommen haben, mochte auch unter seinen Leuten kein Mann und keine Frau ihn mit Schmähungen oder gar Vorwürfen bedacht haben, so wußte Sardus doch, daß er seinen Gott, seinen Propheten und seine Leute verraten hatte und nur ein Akt der Buße sein Schamgefühl darüber lindern konnte, das Gelobte Land in einem Augenblick unverzeihlicher Nachlässigkeit an die erstbesten Götzendiener, die mit einem fadenscheinigen Anspruch daherkamen, ausgeliefert zu haben.
    Bruder Whilom, übriggebliebener Anführer der Erstsiedler, Verfasser von Kirchenliedern und angeblich über hundert Jahre alt, sagte nicht unfreundlich zu Sardus: »Gott verzeih uns. Wir haben das Neue Zion den Götzendienern und Ungläubigen preisgegeben. Sie werden das Königreich zerstückeln wie ein Stück Rindfleisch und es den Parteien vorwerfen. Und wenn das irdische Königreich Gottes in die Zeit der Teilung und Unterteilung tritt, wird die Rute Seines Zornes blühen. All unsre Gebete werden wie Staub sein, Sardus.« Womit der alte Mann seine Bibel nahm und sich ins Bett legte, um nie mehr aufzustehen.
V
    Also, ich war sechs Jahre alt, weiß noch, wie ich auf den Stufen der Veranda saß und über die Zuckerrohrfelder hinsah, dorthin, wo die Maine Road sie wie eine Sense zerschneidet, und wie da aus dem weit entfernten Vargustone in einer Wolke roten Staubs der allererste Lastwagen mit Bauholz und Rohmaterial angerollt kam – und während ich ihn beobachtete, spitzte ich die
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