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Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel
Autoren: Nick Cave
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vorübergezogen war. Und sechs Nächte und sechs Tage schritt Ezra eilig aus, und am ersten Tage hielt er die Sonne zu seiner Linken, auf daß er sich unzweifelhaft von seinem Heim entfernte, denn dicht bewachsen waren die Täler.
    Und Ezra wußte nicht, wohin seine Flucht ihn bringen würde.
    Und in der ersten Nacht des ersten Tages schluckte Ezra lange an seiner Flasche und spürte zum ersten Mal den Geschmack des Wahnsinns der Berge, ja, und schritt an einem Flußbett entlang, das ausgetrocknet war und voller Steine.
    Und er wußte den Namen des Flusses nicht und trug noch immer sein Gewehr auf seiner linken Schulter wie einen schwarzen Knochen.
    Zum Rasten wählte er einen hohen glatten Stein und trank aus seiner Flasche bis sie geleert war und warf die Flasche dann lachend hinter sich so daß sie zerbrach und ihr Geräusch dabei schien seinen Ohren mit einem lauten kalten Stock zu durchbohren und er sah die Steine waren weiß und waren zahlreiche Schädel unter dem Mond der hinter ihm aufgegangen war und auf der Spitze des schwarzen Knochens an seinem kalten rauschenden Ohr saß und glatt denn ihm schwindelte in tosenden weißen Schädeln und er fiel rückwärts auf die Grabsteine und barg das Ohr innerhalb des größten blutigen Knalls und den rauchenden Knochen in einem Lager von Blutflecken und er stand auf und lachte um sein Ohr und stürzte über sein Maultier das Ezra davontrug und die Berge mit Blutstropfen bestickte.
     
    »Runter damit«, sagte die Witwe.
    Ezra erwachte und würgte an White Jesus.
    Er krümmte sich und würgte, wälzte den Oberkörper über den Bettrand und spie einen Schwall senfgelber Galle auf den abgetretenen Boden. Dort hing er, halb auf, halb neben dem Bett, und prickelnd schoß ihm das Blut in den Kopf.
    Ein blinder Bolzen Schmerz hämmerte in sein linkes Ohr. Stöhnend zog er sich wieder hoch und fiel auf den Rücken zurück, und mit verdrehten Augen trudelte er tiefer und immer tiefer.
    »Schluck das Zeug.«
    Wieder füllte sich Ezras Kehle mit dem ekelhaften White Jesus, und wieder spie er brüllend seinen Magen auf den Boden.
    Crow Jane nannte man die Witwe, auf deren Bett er lag. In ihrer Hütte. In Ukulore Valley. Am äußeren Rand der Stadt Ukulore. Und Ezra sah sie und wunderte sich.
    »Dein Ohr is weggeschossen. Dein Maultier angebunden«, sagte die Witwe. »Zwölf Jahre hab ich gewartet, aber ich wußte, daß du zurückkommst.«
    Ezra versank in Schlaf und hatte einen Traum; er stand am Bug einer großen Arche, die wie ein Ohr geformt war, und er nahm eine Krähe und sandte sie übers Wasser, das sich bis an alle Horizonte erstreckte, und am sechsten Tag kam die Krähe mit einem schwarzen Knochen im Schnabel zurück.
    Und so kam Ezra, Euchrids Vater, nach Ukulore Valley, und so geriet er an Euchrids Mutter; und dort lebte er unter den ranzig schwammigen Fittichen seiner Gattin, bis sie beide gestorben waren.
    Euchrids Mutter war fast dreißig, als Ezras Maultier, vom Blut seines ohrlosen und delirierenden Herrn überströmt, auf den Hof der kleinen geteerten Bretterbude zockelte. Obwohl man die Frau seit dem Tag ihrer Hochzeit im Winter 1913 nicht mehr im Ort gesehen hatte, war die Erinnerung an sie noch immer ein Gegenstand öffentlichen Gelächters. Die Zuckerarbeiter hatten ihr den Spitznamen »Crow Jane« verpaßt, der aus einem Lied stammte, das der alte Noah, ein farbiger Barbier, mit seiner vollen tiefen Stimme vor sich hin zu singen pflegte, wenn er in seinem kleinen Laden an der Maine Road mit Schneiden und Rasieren und Fegen beschäftigt war.
    Jane Crowley war verrufen in Ukulore Valley, weil das Tal am Tag ihrer Eheschließung im Winter 1913 seine erste und einzige Mußheirat erlebt hatte. Eine Virago reinsten Wassers schon damals, hatte sie im Alter von siebzehn – tränenerstickt und wütend mit den Füßen stampfend – einen dussligen und völlig unschuldigen Zuckerarbeiter namens Ecker Abalon bezichtigt, sie unter der Voraussetzung, daß er sie binnen einem Monat heiraten werde, mißbraucht zu haben. All dies geschah im Bündnis mit ihrer wüsten Verwandtschaft, die sogar so weit ging, den Frevler anzuzeigen und öffentlich zu fordern, daß er den Namen Crowley, den er so leichtsinnig befleckt habe, wieder reinwaschen solle.
    Im Angesicht Gottes und unter dem starren Auge einer Winchester-Büchse hatte Ecker das heilige Gelöbnis abgelegt und das eheliche Band geknüpft, bis daß der Tod sie scheide.
    Zwei Wochen darauf zog Ecker quer durchs Tal und
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