Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel
Autoren: Nick Cave
Vom Netzwerk:
und faltete wie zum Gebet die Hände.
    Ich betete.
    Und dann – und dann wußte ich genau, was zu tun war.
    Von Gott erfüllt, schritt ich tapfer aus und legte mich behutsam nieder, genau im Mittelpunkt des Kreises, im Zentrum des Schlamms. Auf der Seite liegend, Knie an die Brust gedrückt, Kopf eingezogen, war ich geborgen, heilig, ungeboren.
     
    Lärmend kam die Menge durchs Bruchland getrampelt; im ungewissen Licht der Dämmerung schien sie einem riesigen schwarzen Käfer zu gleichen, der mit seinen vielen strampelnden stampfenden Beinen auf dem Weg zurück in sein Nest war. Doch kaum war der Pulk ins eigentliche Sumpfland eingedrungen, konnte man sich kaum noch vorstellen, daß er je existiert hatte, so vollständig wurde er von jenem düsteren Gelände aufgesogen. Nur die niedergetretenen Binsen und die drei Schnabel an Schwanzfeder kreisenden Krähen kündeten davon, daß hier jemals jemand eingedrungen war.
     
    Wißt ihr, während ich hier untergehe – und ich bin schon fast ganz weg – nur mein Kopf ist noch da, und vielleicht die äußerste Spitze meines Buckels – kann ich sie kommen hören, ja, ich glaube, ich hör sie kommen. Die Bäume rings umher, ach, ihre Wipfel sind vom Nebel verschleiert, beugen sich mir zu – beugen sich mir zu, als ob ich eine strahlende Lichtquelle bin. Könnte es denn sein, daß ich leuchte?
     
    Und einmal in den Grenzen des Sumpflands, hieb und hackte sich der Mob einen blinden Pfad – jetzt noch blinder, denn ihre Wut hatte sich keineswegs gelegt, und ihr Weg zur Rache war grell und blendend geworden – aber das machte nichts, denn der Sumpf zog sie magisch an, lockte sie an seine Schwelle.
     
    Bist du das, Tod? Bist du das, Tod, da hinter mir?
     
    Von allen Seiten brachen sie auf die Lichtung durch, bebten und ächzten vor Angst und Wut und Blindheit. Sie wollten seinen Kopf, und mehr werden sie auch nicht bekommen – aber die Zeit läuft gegen sie. Sie müssen sich sputen.
     
    Seht nur, da über mir. Seht ihr die himmlische Hemisphäre? Beachtet, wie sie sich um mich wölbt, als wäre ich die Achse! Und die Bäume, seht, wie sie sich mir zubeugen!
    Und jetzt. Seht! Da oben. Dicke traubenfarbene Gewitterwolken segeln hintereinander über die empyreischen Felder. O ich weiß, ich weiß, das sind die Seelen der Toten, sie ziehen aus, mich zu begrüßen. Seht ihr? Seht doch! Der verschreckte Gaul! Hört seine hämmernden Hufe.
     
    Bleierne Nimbuswolken ziehen in langer Reihe über das Himmelsgewölbe, sammeln sich im äußersten Norden und riegeln, Wolke auf Wolke getürmt, die Lichtung ab.
    Von oben sieht die Lichtung aus wie ein Brandzeichen, gesengt ins Fell der Welt. Primitive Waffen recken sich wie Speichen nach der Zentralachse, dem Ziel ihres Hasses.
    Ein Blitz zuckt vom Himmel wie der Finger Gottes, zeigt auf den Kreis der Männer und attackiert sie mit stotterndem blauem Licht.
    Die Himmel bellen, und der Mob blickt auf, um den Tumult dort zu deuten und die Botschaft in sich aufzunehmen. Ein Wort steht auf jedes gaffend emporgewandte Gesicht geschrieben – Regen – die Rückkehr des Regens, die Rückkehr des ertränkenden Regens.
     
    Und siehe! Ich sehe Mule. Ja! Seht, wie stolz er über den Himmel schreitet. Da habt ihr eure Würde im Tod! Und euren gerechten Lohn! Rückgrat gerade, Fell gebürstet, Kopf erhoben – o langmütiges Leben, das ist dein Preis! Und seht, dort hinter ihm, meine treuen Untertanen, meine Tiere! Seht die Prozession der Unschuldigen, unvernünftige Geschöpfe mit Flügeln, marschieren sie übers Firmament, der Ankunft ihres Königs zu harren. Seht, wie sie alle in Reih und Glied antreten.
     
    Einigen genügte ein flüchtiger Blick zum Himmel, um ihnen die heraufziehende Drohung bewußt zu machen, und kaum hatten sie nach oben gesehen, sahen sie auch schon wieder nach unten, mit neu entflammter Wut – denn ich hatte den Regen gebracht, ich hatte den Regen gebracht – denn schließlich war ER es, der den Regen gebracht hatte.
     
    O jetzt weiß ich, jetzt weiß ich, was da geschieht.
    Da kommt sie herabgestiegen. Das sagt mir das leise Wehen. Die blaue Strahlung, das Flattern von Flügeln. O meine geflügelte Beschützerin! Mein Schutzengel! Bist du es? Bist du es, kommst du, mich durch die Pforte zu tragen? Kannst du es mir sagen? O kannst du es mir sagen? Kannst du mir sagen, was jetzt geschieht?
     
    Sie verschütten Benzin aus Kanistern.
    O trauriger Engel, du weinst?
     
    Mühsam reckt Euchrid sein triefendes Kinn nach
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher