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Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel
Autoren: Nick Cave
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schmuddligen Marinejacke, eine Sichel im Gürtel, die Maine Road entlanghumpelte. Seine Augen zitterten, und sein krankes kachektisches Antlitz war mit Kot und Blut verschmiert. Fettige Haarsträhnen klebten ihm im Gesicht. Beide Hände waren mit schmutzigem Mull umwickelt. Nervös vornübergebeugt, durch seine Haare spähend – mißtrauisch auf alles, auf jedes Geräusch, jeden Schatten –, schleppte er sich hinter den dichtgedrängt die brennenden Felder beobachtenden Kindern am Straßengraben entlang.
     
    Gott hat ihnen Scheuklappen angelegt. Ja. Er hat sie blind für meinen Gang gemacht – oder richtiger: wir haben sie blind gemacht, so groß war die reine Kraft meiner Entschlossenheit, die schiere Wucht meines Willens. Ja, und ich bin über diese Straße geschritten.
     
    Er passierte das Ortsschild, kroch am Straßengraben entlang, der langsam flacher wurde, und erreichte schließlich die Tankstelle. Die Straßen waren fast vollständig leer. Die Frauen, von denen sie gewöhnlich zu dieser Stunde wimmelten, waren mit den Vorbereitungen für das Festessen beschäftigt, kochten entweder in ihren Küchen, oder halfen das Rathaus dekorieren, wo sie alle speisen würden, bevor es zum Singen und Tanzen und Feuerwerk auf den Memorial Square ging.
    Euchrid glitt die Böschung hinauf und kauerte sich zwischen zwei Zapfsäulen. Er inspizierte die Straße, und als er sie leer fand, ging er rüber und verschwand in einem sargförmigen, von der Hecke geworfenen Schattenkeil. Etwa alle zwei Meter unterbrach ein Zaunpfahl die Hecke und bildete eine schmale Lücke in dem Schatten, so daß die Schattenblöcke wie eine lange Reihe von Särgen wirkten, die mit offenen Deckeln am Straßenrand aufgestellt waren. Und Euchrid hüpfte von einem zum andern, von Sarg zu Sarg, wie ein Zauberer bei irgendeiner makabren Täuschungsnummer.
     
    Der Wind trieb den ganzen Rauch der Hölle in die Stadt, und die Sicht war leicht getrübt, wie ihr euch wohl vorstellen könnt – ja? – na ja, jedenfalls wurde es immer trüber, je weiter ich mich in die Stadt vorwagte. Ich meine, natürlich war das nichts im Vergleich zu den großen, alles verschlingenden Nebeln, die sich in den Wintermonaten von den Hängen des Tals herabwälzten, aber auch so war jetzt etwas in der Luft, das die Kraft hatte, das Gewöhnliche, das Alltägliche in etwas völlig anderes zu verwandeln – in etwas Bizarres, Unirdisches, Unheimliches, wie ich fand. Alles war ein wenig verschwommen, ein wenig undeutlich, und das war gleichermaßen ein Fluch und ein Segen, denn zwar konnten sie mich nicht sehen, doch allzu deutlich sah ich sie auch nicht.
    Dennoch schlich ich weiter, gab mir große Mühe, meine Zuversicht zu bewahren – hinwegzusehen über die Blendwerke der Luft, des Lichts, des Schattens, des Rauchs, meiner Augen, meiner Ohren, meiner Nase, meiner Gedanken, meiner Gedanken und meiner Gedanken.
    Umschlungene Schatten machten hinter irgend welchen Dingen zweideutige buckelnde Bewegungen, verblaßten aber wieder, noch ehe ich die stoßenden Gestalten entwirren konnte. Ich sah einen glänzenden Arm, der eine blutbedeckte Machete schwang; Fliegen stoben aus einem Rauchschwall auf.
    Ich duckte mich, aber da war es schon weg. Ich hörte eine Klinge durch die trübe Luft sausen, und glaubte von derselben Luft an einer Wange gestreift zu werden. Ich hörte Fliegen summen, immer näher, immer lauter auf mich zu. Geduckt kroch ich weiter. Kam an einem alten gußeisernen Pferdetrog voll schaumigen Wassers vorbei. Durchstieß die schleimige Oberfläche mit den Fingerspitzen und spähte hinein. Betrachtete das Spiegelbild. Mein Kopf sah aus, als fielen winzige schwarze Fliegen darüber her. Mein Gesicht, meine Haare, mein Kopf, meine Augen, mein Mund, meine Gedanken – alles befallen von winzigen schwarzen Fliegen, und dann wühlte ein sehr schnell nach oben steigender Silberfisch das Wasser auf.
    Aus irgendeinem Grund erinnerte ich mich daran, wie ich einmal auf unserem Schrotthaufen die Leiche eines enthäuteten Welpen gefunden hatte – die vier Pfötchen waren mit Kupferdraht zusammengebunden – damals war ich sechs Jahre alt. Unbemerkt erstieg ich die Treppe zum Rathaus. Ich konnte die Frauen bei der Arbeit schwatzen hören. »Hören sich an wie Fliegen«, dachte ich, »und genau das sind sie wohl auch.« Ich kroch unter die Hecke, die wie ein Zaun den Memorial Square umstand.
    Ich spähte in den Innenraum, prüfte das Gelände, das Denkmal, den Spielplatz, aber es
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