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Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel
Autoren: Nick Cave
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sich mir der Magen um, und ich erbrach mich über meinen linken Arm. Ich jappte wie ein Fisch. Und schwitzte überall rot.
    Die letzte Nacht – die letzte Nacht – hab ich in meinem Turm verbracht, hab das Tal beobachtet und zugesehen, wie die herankriechende Nacht die Stadt verschlang und eins nach dem anderen die Lichter in den Häusern ausgingen.
    Seltsam war meine Stimmung, mein Stimmungsumschwung. Als ob mein Herz sich langsam in seinem Käfig zu drehen begonnen hätte.
    Als ich die Treppe zum Turm hochstieg, war ich erschöpft und mehr als nur ein wenig gereizt; ich hatte nämlich sechs der größeren Tellereisen über das Marschland geschleppt, dann auf zwei Reifenschläuche gesetzt und in den Sumpf geschleift. Dort war mir der Geist meines Vaters erschienen. Von Baum zu Baum huschend, hatte er mich nicht herankommen lassen, als hätte er Angst vor mir. Er rief mir Anweisungen zu, die, da er den Abstand zwischen uns nicht verkleinern wollte, kaum zu hören waren, doch setzte ich mir die Silbenfetzen so zusammen: »Töte sie!« und »Schlag das Gör tot!«, immer abwechselnd.
    Anfangs versuchte ich ihn einfach zu ignorieren, und als ich die Fallen aufgestellt hatte, wollte ich diesen Ort der Geister, diesen Ort Gottes schnell wieder verlassen. Dann nahm ich mir vor, mich umzudrehen und ihm entgegenzutreten, und ich ging sogar ein paar Schritte auf ihn zu, um den Abstand zu verringern, aber dabei erkannte ich auf einmal deutlicher, was der Alte da bellte, und ergriff nun doch lieber die Flucht, ließ das Reifenschlauchfloß hinter mir und hastete über das Bruchland zurück, und seine Worte brannten mir in den Ohren.
    »Mörder! Saboteur«! Und noch als ich den Turm erstieg, hallte mir jede dieser mit Gift geladenen Silben laut in meinem Kopf und meinen Eingeweiden.
    »Mör-der! Sa-bo-teur!« Um mir die Stirn abzuwischen, griff ich in die Tasche meiner Jacke und suchte nach einem Taschentuch. Ich fand einen kleinen weißen Kinderhandschuh und breitete ihn aus, so daß er die Wunden meiner rechten Hand bedeckte. Ich untersuchte ihn. Hielt ihn dicht an die Petroleumlampe. Eindeutig Beths Handschuh, und er schien mir das Weißeste zu sein, was es auf der Welt geben konnte.
    Mir fiel ein Traum ein, den ich gehabt hatte. Von einem Handschuh. Von Beth. Ich drückte drei schmutzige Finger in den Handschuh, und kurz bevor ich die Augen schloß, sah ich einen glatten, straffgespannten Himmel vom tiefsten Blau, und der Mond war ein blutleerer, fleischfarbener Riß in seiner unendlichen Wölbung.
    Und mein Herz drehte sich um, trieb auf warmen Wassern und wurde dann jäh an die Gestade des Ekels geworfen. Ich schlug die Augen auf und betrachtete den Handschuh von neuem, und seine Weiße schien verschwunden, verschmiert war er wie alles, was ich sehen konnte, wie alles, was ich berührte, und genau in der Mitte des Handschuhs sah ich einen purpurnen Fleck erscheinen und größer und heller werden, bis ich meine Hand hohlmachen mußte, damit das ausströmende Blut nicht überlief.
    Ich verband mir die Hand mit einem Taschentuch.
    Der Handschuh. Das Blut. Der Mond. Keins dieser Zeichen blieb unbeachtet.
    Ich schmiß den verdreckten Handschuh über die Mauer.
    Ich blickte auf die Stadt hinab, und ein kalter Pflock aus Haß ließ mein Herz stehenbleiben, als ich an die Teufelei dachte, die Beth dort begangen hatte. Die Teufelei, die Beth dort begangen hatte. Die Teufelei, die Beth dort begangen hatte. Und so verging die Nacht.
     
    Unten – im Tal – tobte die Hölle, loderten wilde Flammen und rasten, angetrieben von einem stürmischen Südwestwind, mit ungeheurem Tempo durch die Zuckerrohrfelder. Brausende Feuerwände zischten und knisterten und besudelten das Firmament mit schnörkligen Wolken bösen schwarzgrünen Qualms.
    Ich sah das Tal als einen großen See aus dunklem öligem Blut, und mich sah ich, die gleißende Sichel zwischen den Zähnen, mit eleganten Sprüngen in dieses Blut eintauchen und rote Kreise durch den dampfenden Äther ziehen.
    Es war Morgen. Vormittag. Der Tag der Feier. Das »Abbrennen« hatte begonnen.
    Eine Krähe, ein Fremder. Zwei Krähen, Gefahr. Drei Krähen, eine Vorladung.
    Auf dem einen toten Ast des Galgenbaums hockten vier schwarze Plagegeister in gleichen Abständen nebeneinander. Vier böseschwarze Vögel!? Vier? Doppelgefahr Doppelgefahr!!
    Meine Tiere schlichen in ihren Käfigen hin und her.
    Das ist der Tag! Das ist der letzte Tag!
    Ich streckte meine Arme zur Seite und dann nach
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