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Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel
Autoren: Nick Cave
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empfangen – eine Anweisung, eine Warnung oder was auch immer.
    Und ich neigte den Kopf und schloß die Augen und lauschte, und langsam kam der Puls Seiner Stimme, der Doppelschlag, der leise, unheilvoll anschwellende Gesang – die Zeit ist nah die Zeit ist nah die Zeit ist nah – und während ich den Gesang entzifferte, fragte ich mich: nah für was? Und Wort für Wort, Gesang für Gesang, Anweisung für Anweisung – geh in die Stadt geh in die Stadt geh in die Stadt – buchstabierte Gott es mir vor. Und nach und nach erfuhr ich die Aufgabe meines Daseins, schlicht und einfach – in deinen besten Kleidern in deinen besten Kleidern in deinen besten Kleidern in deinen besten Kleidern. Und mit Seinem kostbarsten Zeichen erhellte Gott die zermürbende Dunkelheit, die mich mein ganzes Leben lang erdrückt hatte, und ich sah, wie mein Leben – mein Rädchen – sauber in ein anderes, kleineres Rädchen griff, das eine Achse drehte, die einen Mechanismus auslöste, der wiederum einen Zunder entzündete, an dem ein langer Docht befestigt war, der spratzelnd zu einer Pyramide roter Streichhölzer niederbrannte – bis daß der Tod uns scheidet bis daß der Tod uns scheidet bis daß der Tod uns scheidet – Bumm!! Bis daß der Tod Bumm! Bis daß der Tod Bumm! Bis daß der Tod …
     
    GIB BETH DEN TOD!
     
    Und so begann ich mit den Vorbereitungen.
     
    »Kraaaaaaaaaaaaaaaaiiiiiiiiiiii …«
    Ich schärfte die kreischende Schneide der Sichel auf dem kreisenden Schleifstein, unterbrach mich, um Luft zu holen und ein wenig Wasser zu versprengen. Beugte mich dann wieder über den rasenden Stein, trat wild aufs Pedal und schliff weiter, wobei es mir etwas Unbehagen bereitete, daß die Sichel, ohne die simplen Gesetze der Logik zu achten, während der ganzen Atempause weitergekreischt hatte. Funken spritzten auf meine leitende Hand. Der Treibriemen surrte seinen rollenden Rhythmus, und ich hockte über dem bockenden, schwirrenden, quietschenden, schütternden Gerät, bis die Sichel böse in meiner Faust grinste, ungeheuer scharf, so scharf, daß man Scheiße damit häuten konnte.
    Nur Sonne, kein Wind; die Luft flimmerte in der Hitze. Ich hieb mich durch den Hof zum großen Tor von Hundskopf, und wie so oft quatschten und reimten meine Gedanken durcheinander. Gott durchbrauste mich, als ich den Raum vor mir kahlschlug – ein sengender, erstickender, stiller stiller Hauch: töte Beth töte Beth töte Beth.
    Ich kletterte am Tor hoch und schlang vier Stricke um die vier Eisenhaken, die ich früher mal in die Oberkante des Tors geschraubt hatte. Dann folgte ich den Seilen nach innen, überprüfte dabei die gegabelten Pfähle, von denen die Leinen überm Boden gehalten wurden, klopfte gelegentlich mit der flachen Seite der Sichel auf die Stricke, um zu sehen, ob sie auch stramm genug wären, und vergewisserte mich, daß die stählernen Ösen fest im Türrahmen saßen. Als letztes kniete ich neben meinen fauchenden Teekisten nieder und sah nach, ob auch jedes Seil fest mit den Drahtfassaden der Zwinger verbunden wäre.
    Jeder Käfig war ein Knäuel von Erwartung. Ich hatte meine Tiere auf ihre bevorstehende Freilassung, auf ihren tödlichen Auftrag vorbereitet. Ich hatte ihnen erklärt, der Lorbeer des Ruhms sei im Blutvergießen zu erringen, und als ich sie auf den Gegner einschwor, hatten sie vor Haß gegeifert. Und als ich sie mit den Grundlagen des unbewaffneten Kampfs vertraut machte – nach dem Hals springen, laut bellen –, knurrten sie dumpf und tief aus ihren Kehlen und wetzten ihre Reißzähne an den Drahtgittern. »Tötet für euren König, und sterbt für euren Gott. Mit dem Blutvergießen erlangt ihr die Seligkeit«, erklärte ich ihnen, und da fingen die furchtlosen Bestien, ins Joch gespannt, angeschirrt, in ihre Kerker oder kotigen Teekisten gesperrt, mit ihrem grauenvollen Winseln an.
    Ich weiß, ihr habt gute Arbeit verrichtet, meine hinkende Todesschwadron, ich weiß, ihr habt gute Arbeit verrichtet. Mit dem Namen des Königs auf euren Lippen zu sterben – welch größere Ehre könnte es geben? O ihr glorreichen Hündinnen von Hundskopf, ich kann euren Gesang nicht mehr hören. Wie konnte ich wissen, daß sie mit Gewehren kommen würden? Möge der Käfig des Tierparadieses sich für euch öffnen. Euer König ist sehr zufrieden. Sehr.
    Das war gestern, müßt ihr wissen. O ja, die Vergangenheit saust schnell heran, kommt immer näher auf mich eingestürmt. Aber soll sie kommen. Ich bin bereit. Hab keine
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