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Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel
Autoren: Nick Cave
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tapfer, Euchrid. Du darfst jetzt nicht zerbrechen.« Und ich sagte: »Ich werde unter keinen Umständen weinen. Ich werde unter keinen Umständen …« Und schluchzte nur einmal auf, und begann dann so fürchterlich zu weinen, daß ich glaubte, mir würde das Herz explodieren, so gottverflucht erfüllt war ich von – nein, nicht Trauer – o nein, das nicht, nein – sondern ich heulte, hemmungslos, vor – vor – vor Stolz. Ja. Stolz. Und wißt ihr, ich nehme an, dies ist das alleinige Gefühl derer, die nur leben, um Größe zu erlangen, die gegen alle Widerstände nach Größe streben, und wenn sie ihr bis ins Grab nachgehen müssen. An diesem Tag hatte ich das Rechtmäßige meines Daseins außerhalb der kleinlichen Diktate der gewöhnlichen Menschen bewiesen, und ich vergoß stolze Wasser, Tränen der Größe, Ströme von Salz und Seligkeit.
    Hoch hüpfte mein Herz! Denn jetzt wimmelte es auf dem Platz von Leuten! Da standen sie um das Denkmal herum, ja, um sie herum, all und überall auf dem verdammten Platz herum und knirschten mit den Zähnen und tobten und heulten und schlugen sich an die Brüste. Und ich sah einen Mann, scharf und dunkel, das Gesicht verzerrt vor wahnsinniger Wut, und er hob Beths schlaffen kleinen Leib von den Stufen und zog die Sichel aus ihrem Körper.
    Ich wußte, es konnte nur Minuten dauern, bis einer von ihnen mein Zeichen, meine Sichel, erkannte. Und tatsächlich fuhr auch gleich einer herum, streckte theatralisch den Arm aus und zeigte mit einem Finger direkt auf mich, auf mein Auge – und der ganze Mob drehte sich um, vollzählig, und der ganze Mob sah zu mir auf und schrie nach Blut, alle, alle schrien sie nach meinem Blut, und ich sagte, und ich sagte: es ist Zeit, und ich sagte: es ist Zeit zu gehen, ich sagte, es ist Zeit für mich zugehen.
     
    Und noch während Euchrid von seinem Turm kletterte und sich durch den Müll und Dreck auf dem Hüttenboden schleppte, raste ein Dutzend ratternder Kombis und rappelnder Lieferwagen über die Maine Road auf ihn zu. In jedem Fahrzeug hockten und bockten Männer und schnitten Grimassen in die sandig brausende Luft. Und jede Hand hielt irgendein Werkzeug als Waffe.
     
    Ich nahm von meinem Königreich Abschied, und das Schweigen da drinnen sagte mir, daß meine Untertanen zum Kampf gerüstet waren – bereit zum großen Schlag.
    Und plötzlich war kein Friede mehr im Tal.
    Plötzlich brach es mit räuberischer Gewalt über die Luft herein – alle Geräusche waren verstärkt und voller Drohungen. Ein höllischer Lärm – all ihre Schreie und Rufe und Flüche, das Dröhnen und Knattern der Motoren, der Ansturz ihres Kommens, ihres wutschäumenden Kommens – schallte furchtbar durch die Luft. Furchtbar. Selbst mein Rückzug krachte wie Donner. Mein Atem knallte mir rauschend um die Ohren. Mein Herz – ach, mein Herz schlug außer Rand und Band.
     
    Nachdem er durch ein Loch in der Mauer gekrochen war, blieb Euchrid kurz stehen, sah sich nach den über die Maine Road stürmenden Fahrzeugen um, und wandte sich dann wieder zur Flucht. Barfuß stapfte er über einen bereits getretenen, kaum sichtbaren Pfad durch das Bruchland. Rohrkolben schlugen an seine Knie, und hinter ihm schaukelten sie weiter, umgedrehte Pendel, die im dampfenden Sumpfboden verankert waren.
    Am äußeren Rand des Sumpflandes angekommen, sah Euchrid sich ein letztes Mal nach dem Wall aus rotem Staub um, der unaufhaltsam auf die Hütte zuhielt. Er zog seine Jacke aus und hing sie an einen Baum. Von demselben Baum band er einen Strick ab und folgte dann der Leine aus Drähten, Schnüren, Lakenstreifen und Ketten in das bebende Dickicht des Sumpflands, wobei er im Gehen die Leine einholte.
     
    Aber kaum war ich über die Schwelle des Sumpflandes getreten, herrschte auf einmal die seltsamste Stille, und meine Flucht wurde traumhaft, rhythmisch, schmerzlos. Ich hatte das Gefühl, als sei die Leine, der ich Hand über Hand folgte, in Wirklichkeit an mir befestigt – als sei sie ein Teil von mir, und ich selbst wäre es, den man da einholte – ich selbst würde nach Hause gerufen.
     
    Vor den Toren von Hundskopf angekommen, sprang Sardus Swift, Beths Kittel unterm Arm, die Mordwaffe in der Hand, vom Vordersitz eines der Wagen. Er hob die blutbedeckte Sichel über seinen Kopf, und befahl Euchrid mit wutschriller Stimme, herauszukommen. Schon befestigten schweißtriefende Männer Zugseile an den Toren. Es kam der Befehl, zurückzutreten; wütend knatterten Motoren auf,
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