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Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel
Autoren: Nick Cave
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und die großen Tore von Hundskopf wurden aus den Angeln gerissen.
    Der Mob stürmte den Hof, die Feldwerkzeuge unbeholfen auf den Schultern und über den Köpfen, jetzt schamlose Werkzeuge der Zerstörung, Mistgabeln und langstielige Heurechen starr vorgereckt wie Lanzen. So eroberten sie den von der bizarren Mauer aus umgebautem Schrott definierten Raum.
    Der Gestank des Todes mußte schon auf dem Hof unerträglich sein, doch die Wut, die sie verzehrte, war eine blinde Wut, und so groß war ihr versammelter Zorn, daß ihnen die seltsamen Vorrichtungen, die Stolperdrähte, die Foltergeräte, die Fallspieße, die Flaggen, die Pfähle – die Massen von Fetischen, aus denen dieses absurde Reich aus Stahl und Brettern und Stricken und Nägeln und Knochen und Häuten und Blut zusammengezimmert war – weder Entsetzen noch Empörung, ja nicht einmal Staunen abnötigten – ebensowenig wie sie den aus der Hütte dringenden Verwesungsgeruch bemerkten, als sie die Verandastufen erstiegen und Hals über Kopf hineinstürmten.
    Die hellen Finger ihrer Taschenlampen tasteten durch den dunklen Raum. Die zähflüssige Luft klebte an ihren Gesichtern wie warme feuchte Haut, und um sie her erglomm eine Schreckensvision von Tier- und Menschenkot, von brandig greulichem Gemetzel, von hochgehäuftem Tod.
    Und erst dort drinnen zeigte sich die Perversität des Ganzen, schreckte die Wut zurück und wurde klamm und kalt. Die Männer wedelten wild vor ihren Gesichtern herum, entsetzten sich vor fliegenverdreckten Fleischklumpen, die von der Decke hingen, stolperten über Haufen schmutzigen Bettzeugs und kreischten den Tod an, kreischten den Tod an, und die Ratten kreischten zurück. Und die Männer flohen aus der Hütte, taumelten auf die Veranda und sanken übers Geländer, um ihr festliches Abendmahl über die darunter wachsenden Büschel sonnenwelken Immergrüns zu speien.
    Doch nur drinnen wurde gekreischt. Draußen sprach niemand. Und aus der Hütte drang der Arbeitsgesang der Fliegen – ein unerbittliches Quengeln, hoch und seltsam.
    Auch ohne Befehl wurden Benzinkanister geöffnet und um die Hütte herum ausgeschüttet, und schweigend standen die Männer auf dem Hof und sahen zu, wie die Hütte vor ihren Augen ein riesiges Krematorium wurde, waren Zeugen, wie der Himmel zum zweitenmal an diesem Tag von gierigen Flammen versengt wurde.
    Zwei Männer kamen schreiend durchs Tor gerannt.
    »Wir haben seine Spur!«
    »Er ist im Sumpf!«
    Und die Menge wandte sich um. Und die Menge schrie auf.
     
    Mühelos gelangte ich über die innere Grenze der Hypertrophie auf die Lichtung – den unbewachsenen, an keiner Stelle mehr als vier Schritte breiten Gürtel festen Landes, von dem die Kreisfläche des Treibschlamms umgeben ist. Ich war aller Kleidung beraubt, im Naturzustand, und mein Körper war bedeckt mit Unmengen neuer Striemen und Wunden, Nesseln, Stacheln und Dornen und juckenden Rankenschrammen.
    Aber der Schmerz ist vollkommen, denn der warme Schlamm wirkt so lindernd auf mein gekreuzigtes Fleisch, daß das, was aus dem Leben scheidet, von seinem Leiden erlöst wird, während das, was noch bleibt, nur wehtut.
    Der Tod ist das Pflaster auf dem Schmerz des Lebens – das ist meine Botschaft an die Welt.
    Und ich stand vor dem Sumpf, schwitzte Salz in meine Wunden und durchlitt bei vollem Bewußtsein die Qualen der Sterblichkeit, auf daß mein Tod um so süßer wäre – und das ist er! Das ist er!
     
    In der Stadt, auf dem Memorial Square, warfen sich Frauen in Schwarz auf den Boden, während andere zähneknirschend und den Himmel verfluchend auf den Knien umherwankten. Andere standen starr, wie hypnotisiert, und sangen, und wieder andere liefen einfach blind im Kreis herum und schlugen sich mit Steinen an die Brüste.
    Das Glas im Grabmal des Propheten war zerschmettert, und sein weißes Gewand lag in Fetzen auf dem Boden verstreut. Drei Frauen schlugen mit Hämmern auf das marmorne Denkmal ein.
     
    Bald begann ich langsam, Schritt um qualvollen Schritt, den furchtbaren Schlamm zu umkreisen, beobachtete die Bewegungen des Sumpfs, die feinen Wellen und Spannungsverschiebungen an seiner Oberfläche – träge, tonlose Kontraktionen, eine langsam anschwellende Erhebung, dann ein jähes Schrumpfen – wie ein Zugreifen – und plötzlich war dieser umringte Sumpf für mich ein unheilvoller Schließmuskel, und das flößte mir Angst ein – und Zweifel.
    Ich ging einmal ganz um den Sumpf herum; dann blieb ich stehen, neigte meinen Kopf
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