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Maigret - 31 - Mein Freund Maigret

Maigret - 31 - Mein Freund Maigret

Titel: Maigret - 31 - Mein Freund Maigret
Autoren: Georges Simenon
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1
Der ganz reizende Mister Pyke
    »Sie standen an der Tür Ihres Lokals?«
    »Ja, mein Kommissar.«
    Es war sinnlos, ihn zu verbessern. Vier- oder fünfmal hatte Maigret versucht, ihm beizubringen, daß die Anrede Herr Kommissar hätte lauten müssen. Aber was hatte das schon zu sagen! Was war hier überhaupt wichtig?
    »Ein großer grauer Sportwagen hat einen Augenblick gehalten, und ein Mann ist ganz plötzlich herausgesprungen, so haben Sie doch wohl gesagt?«
    »Ja, mein Kommissar.«
    »Um in Ihr Lokal zu gelangen, mußte er ganz dicht an Ihnen vorbei und hat Sie sogar dabei leicht angestoßen. Nun befindet sich doch aber über der Tür ein Neonleuchtschild.«
    »Es ist violett, mein Kommissar.«
    »Na und?«
    »Weiter nichts.«
    »Weil Ihr Neonschild violett ist, konnten Sie also den Mann, der einen Augenblick später den Samtvorhang auseinanderschob und mit seinem Revolver auf Ihren Barmixer zielte, nicht wiedererkennen?«
    Der Wirt hieß Caracci oder Caraccini (Maigret mußte jedesmal erst in der Akte nachsehen). Er war klein, trug hohe Absätze, einen riesigen Brillanten am Finger und hatte einen Korsenkopf (sie sehen immer ein wenig wie Napoleon aus).
    Das ging schon so seit acht Uhr morgens, und jetzt schlug es bereits elf. In Wirklichkeit dauerte es sogar schon seit Mitternacht. Alle, die man in der Rue Fontaine, in dem Lokal, wo der Barmixer erschossen worden war, aufgegriffen hatte, hatten die Nacht in der Polizeipräfektur verbringen müssen. Drei oder vier Inspektoren, darunter Janvier und Torrence, hatten sich schon mit Caracci oder Caraccini befaßt, ohne etwas aus ihm herauszubekommen.
    Der Kalender zeigte den Monat Mai, aber es regnete wie im tiefsten Herbst. Seit vier oder fünf Tagen regnete es so, und die Dächer, die Fensterbrüstungen und die Schirme glänzten wie das Wasser der Seine, die der Kommissar, wenn er den Kopf ein wenig vorneigte, sah.
    Mr. Pyke bewegte sich nicht. Er saß auf seinem Stuhl in einer Ecke ebenso steif wie in einem Wartesaal, und das konnte einem allmählich auf die Nerven gehen. Seine Augen wanderten langsam von dem Kommissar zu dem kleinen Mann und von dem kleinen Mann zu dem Kommissar, ohne daß man erraten konnte, was in diesem englischen Beamtengehirn vorging.
    »Sind Sie sich klar darüber, Caracci, daß Ihnen Ihre Haltung teuer zu stehen kommen, daß Ihr Lokal für immer geschlossen werden könnte?«
    Ohne sich von diesen Worten einschüchtern zu lassen, zwinkerte der Korse Maigret wie einem Mitverschwörer zu, lächelte und strich sich mit seinem ringgeschmückten Finger seinen schwarzen Bart glatt.
    »Bei mir ist nie etwas vorgekommen, mein Kommissar. Sie brauchen nur Ihren Kollegen Priollet zu fragen.«
    Obwohl es sich um einen Mord handelte, betraf dieser Fall eigentlich wegen des besonderen Milieus, in dem er passiert war, Kommissar Priollet, den Leiter der Sittenpolizei. Aber das Unglück wollte es, daß Priollet gerade zur Beerdigung irgendeines Verwandten im Jura war.
    »Sie weigern sich also, etwas zu sagen?«
    »Ich weigere mich nicht, mein Kommissar.«
    Polternd und mit ärgerlicher Miene ging Maigret zur Tür des Nebenzimmers und öffnete sie.
    »Lucas! Bearbeite ihn noch ein bißchen!«
    Dieser Blick, mit dem Mr. Pyke ihn anstarrte! Mr. Pyke mochte der sympathischste Mensch von der Welt sein, aber es gab Augenblicke, wo Maigret sich dabei ertappte, daß er ihn geradezu haßte. Es ging ihm da genauso wie mit seinem Schwager Mouthon. Einmal jährlich, im Frühling, kamen Mouthon und dessen Frau, die Madame Maigrets Schwester war, an der Gare d’Est an. Auch er war der sympathischste Mensch von der Welt, er hätte nie jemandem etwas zuleide getan, und seine Frau war die Fröhlichkeit selbst. Kaum hatte sie die Wohnung am Boulevard Richard Lenoir betreten, verlangte sie schon nach einer Schürze, um im Haushalt zu helfen. Am ersten Tag war es urgemütlich. Am zweiten Tag war es auch noch ganz hübsch.
    »Wir reisen morgen wieder ab«, verkündete Mouthon dann.
    »Aber nein, aber nein«, entgegnete Madame Maigret, »warum wollt ihr schon wieder fort?«
    »Weil wir euch sonst am Ende noch zur Last fallen.«
    »Aber nicht die Spur!«
    Maigret sagte ebenfalls im Brustton der Überzeugung:
    »Nicht die Spur!«
    Am dritten Tag wünschte er sich eine Arbeit, die ihn davon abhalten würde, zum Abendessen nach Hause zu gehen. Aber nie, seit seine Schwägerin mit Mouthon verheiratet war und das Paar sie alljährlich besuchte, nie, nicht ein einziges Mal,
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