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Und der Herr sei ihnen gnädig

Und der Herr sei ihnen gnädig

Titel: Und der Herr sei ihnen gnädig
Autoren: Faye Kellerman
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Zusammentreffen mit Kobys Familie verschaffte mir neue Erkenntnisse über meinen Liebsten. Von seinen Eltern vergöttert, seinen älteren Geschwistern verhätschelt und von den jüngeren verehrt, war Koby der erklärte Liebling der Familie. Sein ältester Bruder Yaphet, der eine gewisse Ähnlichkeit mit Koby besaß, aber kleiner und breiter war, fasste es am letzten Abend kurz, aber treffend zusammen: »Yaakov«, brummte er, »sieht gut aus... ist gescheit... hat die körperliche... gevura...«
    »Stärke«, übersetzte Koby im Flüsterton.
    »Wenn ihr mich fragt, ist er adoptiert«, knurrte Yaphet. »Oder meine Mutter hat uns ausgetrickst.«
    Sofort brach der ganze Tisch in kreischendes Gelächter aus, allen voran Kobys Vater. Koby drehte sich zu mir um und flüsterte: »Es ist Zeit aufzubrechen.«
    Wir waren beide froh, als wir wohlbehalten wieder auf dem guten alten, von Smog verpesteten Flughafen von L. A. gelandet waren. Nachdem wir uns einen Tag von den Strapazen der Reise erholt hatten, trat Koby wieder seinen Dienst an. Obwohl es ein heißer Nachmittag war, beschloss ich spontan, eine Runde durch die Innenstadt zu drehen und mal wieder alle Stellen abzuklappern, an denen sich die Obdachlosen der Gegend für gewöhnlich aufhielten. Während ich von Block zu Block ging und die trau rigen Gesichter betrachtete, musste ich mich mal wieder zusammenreißen, um nicht vor Mitleid zu vergehen. Ich war gerade am Aufgeben, als das Glück mir lachte.
    Ich erkannte ihn sofort. Er saß auf der Treppe eines abbruchreifen Gebäudes, das zu einem industriellen Komplex von Lagerhallen gehörte, und aß aus einer Blechbüchse. Sein krauses Haar war lang und zottelig geworden, aber irgendwie war es ihm gelungen, sich weiterhin zu rasieren - ein absoluter Glücksfall für mich, denn mit Bart wäre sein Down-Gesicht nicht mehr so gut zu erkennen gewesen. Er hatte wunde Stellen an den Händen, und sein Gesicht sah dreckverkrustet aus. Trotz der Hitze trug er mehrere Schichten Kleidung.
    Mit wild klopfendem Herzen trat ich auf ihn zu. Er blickte auf und legte instinktiv einen Arm über die Blechbüchse, um sein Essen vor mir zu verstecken. Ich streckte ihm die Hand hin, aber er reagierte nicht.
    »Komm, David«, sagte ich. »Lass uns nach Hause gehen.«
    Er starrte mich an, rührte sich aber nicht von der Stelle.
    »Du wirst erwartet, David. Eine ganze Menge Leute warten auf dich.«
    Noch immer keine Reaktion.
    »Sarah... Mr. Klinghoffner, Mr. Paxton. Du erinnert dich an Mr. Paxton, oder?«
    »Ich bin doch nicht blöd«, brummte er.
    »Entschuldige, ich wollte dich nicht beleidigen«, sagte ich. »Sarah hat das Baby bekommen. Ein kleines Mädchen. Das bedeutet, du hast eine Tochter. Sie hat sie Cinderella genannt. Wir nennen sie Ella. Ich glaube, sie hat Sarahs Augen, aber deinen Mund.«
    Er begann sich wieder seinem Essen zu widmen. »Komm, David, lass uns von hier verschwinden«, versuchte ich es noch einmal.
    »Ich weiß nicht, wo ich hinsoll. Ich hab kein Zuhause.« »Du könntest aber eines haben, wenn du wolltest.« »Jetzt hab ich jedenfalls keines.«
    »Du hast im Moment vielleicht keine Wohnung, aber wir können dir wieder eine besorgen.« »Ich möchte Sarah sehen.« »Das lässt sich bestimmt machen.« »Nein. Ihre Schwester wird mich nicht lassen.«
    »Hast du Sarahs Schwester schon mal gefragt, ob du Sarah sehen darfst?«
    David antwortete nicht.
    »Jetzt, wo ihr das Baby habt, ist das vielleicht alles ganz anders. Einen Versuch wäre es zumindest wert.«
    Wieder streckte ich ihm die Hand hin. Diesmal nahm er sie, und ich zog ihn hoch.
    Sogar hier im Freien konnte ich feststellen, dass er extrem streng roch. Er war klein und wirkte ziemlich untersetzt, was aber auch an den vielen Kleiderschichten liegen konnte. Sofort begann er sich an den Händen, Armen und am Kopf zu kratzen. Mich juckte es allein schon vom Zusehen. »Diese Schnitte und offenen Stellen... tun die weh?«
    »Manchmal.«
    »Sie sehen aus wie Bisse.«
    »Wenn ich schlafe, kommen oft Ratten und Ungeziefer.«
    »Wir müssen dich unbedingt von einem Arzt anschauen lassen. Ich habe einen Freund, der in einem Krankenhaus arbeitet. Bist du einverstanden, wenn ich dich zu ihm bringe?«
    »In welchem Krankenhaus arbeitet er?«
    »Im Mid-City Pediatric.«
    »Das ist doch für Kinder.«
    »Sie behandeln auch Erwachsene. Und sie haben eine Menge gute Arzte.«
    »Meinetwegen.«
    »Sollen wir gleich aufbrechen?«
    »Meinetwegen.«
    »Möchtest du irgendwas
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