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Und der Herr sei ihnen gnädig

Und der Herr sei ihnen gnädig

Titel: Und der Herr sei ihnen gnädig
Autoren: Faye Kellerman
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prangte. Auf das schwarze, mit Glitzer besetzte Rückenteil war in einer Ecke ein Sichelmond aufgenäht.
    Was bist du denn?, hatte Amy Swartzberg von Ellie wissen wollen.
    Ellie hatte sich bemüht, so erwachsen wie möglich zu klingen, als sie ihr antwortete: Ich bin Bereshit - die Schöpfung der Sonne und des Mondes. Das ist ein konzeptuelles Kostüm!
    Rina wusste damals nicht, was »konzeptuell« bedeutete, aber aus der Art, wie Ellie das Wort aussprach, hatte sie geschlossen, dass es sich um etwas ziemlich Wichtiges handeln musste.
    In München hatte ihre Freundin sie mit einer solchen Wärme empfangen, dass sich Rinas Bedenken schnell verflüchtigten. Ellies Enthusiasmus war ansteckend.
    Das ist Hitlers schlimmster Albtraum, Rina, eine Wiedererweckung jüdischen Lebens am Geburtsort der Nazipartei.
    Keine besonders große Wiedererweckung, dachte Rina, aber immerhin ein Anfang. In München gab es mehrere Synagogen, einen kleinen koscheren Laden auf dem Viktualienmarkt, der einem französisch-marokkanischen Juden gehörte, eine koschere Bäckerei in Schwabing und ein koscheres Restaurant im alten Isarvorstadtviertel. Die Bayern waren ein recht eigenartiges Völkchen. Solange sie Peter und sie nur für Amerikaner hielten, deren Nachname Decker möglicherweise auf deutsche Vorfahren schließen ließ, waren sie aufgeschlossen und freundlich. Sobald Rina sie aber auf Jiddisch ansprach, was deutlich zeigte, dass sie Jüdin war und höchstwahrscheinlich Verwandte aus »der damaligen Zeit« besaß, blieben sie zwar höflich, aber die Unterhaltung wurde bemüht, sie wählten ihre Worte plötzlich mit Bedacht.
    Immerhin war es eine Abwechslung gewesen, ein kleines Abenteuer, auch wenn es mehr der Besinnung als dem puren Vergnügen diente. Und sie hatten ein paar atemberaubende Landschaften gesehen, als sie mit Peter das Münchner Umland und die Ausläufer der Alpen erkundete. Hand in Hand waren sie durch die Wälder gewandert, in denen der Frühling bereits in der Luft lag. Die rauschenden Bäche und die unglaublichen Ausblicke schienen Balsam für Peters unruhigen Geist zu sein.
    Doch je mehr er sich entspannte, desto mehr wuchs Rinas innere Anspannung. Deutschland war nicht nur das Land, in dem fast ihr ganzes Volk ausgerottet worden war, sondern auch der Schauplatz einer persönlichen Katastrophe, die seitdem wie ein verkapseltes Krebsgeschwür in der Seele ihrer Mutter festsaß. Welche geheimnisvollen Kräfte hatten sie, Rina, wohl dazu getrieben, vor etwa zwei Monaten jene
    Polizeidienststelle zu betreten und den Dienst habenden Münchner Beamten zu fragen, wo sie Informationen über ein fünfundsiebzig Jahre zurückliegendes Verbrechen bekommen könnte? Zu dem Zeitpunkt war es ihr nur darum gegangen, ihrer alten Mutter ein wenig Seelenfrieden zu bescheren. Inzwischen fragte sie sich, ob sie nicht gerade dabei war, in ein Hornissennest zu stechen.
    Es bestand kein zwingender Grund, weiter einer Sache nachzugehen, die im Kopf einer alten Frau längst zu einer schrecklichen, aber fernen Erinnerung geworden war. Doch als sie die Seiten des Polizeiberichts überflog und dabei den Namen ihrer Großmutter las - Regina, was auch Rinas offizieller englischer Name war -, gefolgt von dem Wort »Totschlag«, war sie mit einem Mal ganz sicher, dass sie das Ganze zu Ende bringen musste.

1
    Ich sah ihn hektisch die weiße Fahne schwenken, als hätte er gerade eine Schlacht verloren. Während ich meinen Streifenwagen zum Stehen brachte und dabei einem silberfarbenen Mercedes S 500 den Weg versperrte, wurde mir klar, dass die Fahne in Wirklichkeit eine Serviette war. Der Mann war ganz in Weiß gehüllt, die lange, fleckige Schürze über seiner weißen Jeans reichte ihm bis zu den Schienbeinen. Trotz der abendlichen Stunde glänzte sein Gesicht feucht, was mich aber nicht weiter überraschte, weil es kalt und nebelig war - typisches düsteres Maiwetter in L. A. Nachdem ich über Funk meinen Standort durchgegeben hatte, stieg ich aus, die rechte Hand an meinem Stock. Die Luft stank nach dem Abfall in den Mülltonnen hinter dem Restaurant. Die Fliegen, nachts normalerweise zurückhaltend, feierten ein Fest.
    Das Gelände hinter dem Tango wurde von einem starken, gelblichen Scheinwerfer beleuchtet. Der Mann in Weiß war klein, höchstens eins siebzig, und hatte ein grobes, dunkles Gesicht und einen schwarzen Schnurrbart. Wild gestikulierend sprach er so schnell Spanisch, dass ich nur ein paar Brocken verstand, aber ich brauchte ihn
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