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Und der Herr sei ihnen gnädig

Und der Herr sei ihnen gnädig

Titel: Und der Herr sei ihnen gnädig
Autoren: Faye Kellerman
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mitnehmen?« Neben ihm auf dem Boden lagen weitere Klamotten.
    Er überlegte einen Moment und schüttelte dann den Kopf. »Das ist nur lauter Müll.« »Du verdienst etwas Besseres als Müll.«
    Wortlos setzte er sich in Bewegung. Aus seiner vorsichtigen, konzentrierten Art zu gehen schloss ich, dass er wunde Füße hatte. Als er schließlich in meinem Auto saß, bemerkte ich, dass er nicht bloß ungewaschen roch, sondern auch irgendwie faulig, nach infizierten Wunden. Ich öffnete erst mal sämtliche Fenster, bevor ich den Wagen anließ.
    »Wann kann ich Sarah sehen?«, fragte er.
    »Erst mal müssen wir dich wieder ein bisschen zivilisieren.«
    »Wie lange wird das dauern?«
    »Ich weiß es nicht. Bevor du zu Sarah kannst, sollten wir auf jeden Fall sicherstellen, dass du nicht krank bist. Wegen des Babys.« »Wie geht es dem Baby?«
    »Bestens. Die Kleine ist ein Wonneproppen, ganz, ganz süß.« »Gut.«
    »Hast du Hunger?« »Ja.«
    »Beim Krankenhaus gibt es ein McDonald's. Wenn der Doktor nichts dagegen hat, werde ich dir dort was zu essen besorgen.« »Danke.«
    Ich holte mein Handy heraus und rief Koby an. Als wir vor dem Haupteingang des Krankenhauses hielten, stand Koby schon mit einem Rollstuhl bereit. Zusätzlich zu seiner normalen Pflegerkleidung trug er einen Mundschutz, Handschuhe und eine Haube. Ich half David aus dem Auto und in den Rollstuhl.
    »Das ist David.«
    »Hey, David«, begrüßte Koby ihn. »Ist es dir recht, wenn ich dir jetzt auch so eine Haube aufsetze?« »Ja.«
    »Vielleicht werden wir dir später die Haare schneiden.« »Meinetwegen.«
    »Vielleicht verpassen wir dir einen ganz kurzen Haarschnitt. So wie ihn die Jungs von der Army haben.« »Meinetwegen.«
    Koby nahm den Jungen an den Händen. Ich sah, wie sich seine Augenbrauen hoben. »Ich werde dich jetzt zu einem Arzt bringen, David. Wahrscheinlich musst du über Nacht hier bleiben.«
    »Meinetwegen.«
    »Als deine Tochter geboren wurde, ist sie zu uns gebracht worden. Ich hab mich um sie gekümmert.«
    David blickte zu Koby auf. Zum ersten Mal sah ich ihn lächeln. Sein Gesicht wirkte ganz offen, und ich spürte einen Kloß im Hals.
    »Ich kümmere mich um ihn, Cindy«, wandte sich Koby an mich.
    »Er hat Hunger, Yaakov.«
    »Wir werden gut für ihn sorgen. Ich organisiere ihm gleich was zu essen. Wir sehen uns, wenn ich fertig bin... gegen elf.«
    »Ich werde auf dich warten«, antwortete ich und ging wieder zu meinem Wagen. »Cindy?«
    Ich drehte mich um.
    »Er hat Läuse. Geh in die Apotheke, und besorg dir ein Spezialshampoo. Wenn du zu Hause bist, solltest du sofort heiß duschen und das Shampoo wie angegeben verwenden. Es gibt auch ein spezielles Spray für Polstersitze. Du musst dein Auto desinfizieren.«
    Mit gerunzelter Stirn betrachtete ich meinen schönen, frisch gewaschenen und gewachsten Lexus. Das waren die Schattenseiten der Nächstenliebe, aber unter dem Strich überwogen die positiven Seiten bei weitem die negativen.

46
    Für T. S. Eliot war der April der grausamste Monat, für die Bewohner von LA. war der September der heißeste. Laut Rina erreichte die Hitze ihren absoluten Höhepunkt grundsätzlich an Jörn Kippur, dem Tag, an dem religiöse Juden länger als sechsundzwanzig Stunden weder Nahrung noch Flüssigkeit zu sich nahmen. Heute war nicht Jörn Kippur, aber der Nachmittag war trotzdem glühend heiß.
    Selbst jetzt, kurz vor sechs Uhr abends, hatte es im West Valley noch über dreißig Grad. Kobys neuer fahrbarer Untersatz, ein zehn Jahre alter schwarzer BMW 323, verfügte über eine gut funktionierende Klimaanlage, aber die Temperaturanzeige kletterte dennoch langsam in die Höhe. Sobald wir den Freeway verlassen hatten, schaltete Koby die Klimaanlage aus, und wir öffneten die Fenster. Als wir vor dem Haus meines Vaters parkten, hing die Abendsonne wie ein orangefarbener Feuerball am Himmel. Ich warf einen Blick auf die Uhr. Wir lagen gut in der Zeit.
    Unsere Kleidung war der Hitze entsprechend: bequem, aber dem Sabbat angemessen.
    Koby trug einen gebrochen weißen Leinenanzug, darunter ein weißes T-Shirt. Auf eine Krawatte hatte er verzichtet - er nannte das den Israeli-Stil -, aber seine Lust auf Farben mit einer überdimensionalen yarmulke in Rot, Grün und Gelb befriedigt, den Farben Äthiopiens. An diesem Abend war er mein Prinz, der Sohn des Häuptlings - groß, schlank, aristokratisch und unglaublich attraktiv -, eine Augenweide. Ich trug ein ärmelloses eisblaues Kleid, hatte aber einen
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