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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo
Autoren: Stefanie Zweig
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»erst mal bei Samy vorbeifahren? Der ist ja fix und fertig. Er schläft, seitdem du losgefahren bist. Ich hätte doch mit ihm fahren sollen. Schon wegen Rose. Aber Mister Supermann hat ja darauf bestanden, alles allein zu erledigen. Selbst um die Bananen hat er mit mir gezankt.«
    »Ich schlafe überhaupt nicht. Ich bin nur ein wenig schweigsam, weil ich mich wundere, was du über honorige Leute erzählst, die Bananen lieben. Aber nach Hause würde ich schon ganz gerne. Die sanitären Verhältnisse in Nizza ließen ein wenig zu wünschen übrig.«
    »Das sieht man«, sagte Martha. »Du siehst aus, als hättest du auf einer Parkbank übernachtet.«
    »Nur eine Nacht«, murmelte Samy. »Eine Nacht, an die ich mein Leben lang denken werde.«
    Es war gut zu wissen, dass Rose doch noch lachen konnte. Worüber lachte sie eigentlich? Martha hatte ja Deutsch gesprochen und Liesel noch nicht wieder ihre gewohnte Aufgabe übernommen, das sprachliche Bindeglied zwischen ihrer Mutter und ihrer Tochter zu sein. »Ich sehe euch doch heute noch mal?«, fragte Rose, »bitte, Granny!« »Natürlich«, sagte Samy.
    »Wir haben alle Zeit der Welt«, glaubte Martha, als sie die
    Vorhänge im Schlafzimmer zuzog. Samy hatte darauf bestanden, Mieze, die glaubhaft vorgab, sie hätte Mister Bronstein noch nie gesehen, zur Entschädigung für die Trennung persönlich ein Blatt von den französischen Orangen zu überreichen. Während der Versöhnungsprozedur, die länger als erwartet gedauert hatte, hatte er beschlossen, die geplante Reihenfolge der Dinge zu ändern - sich erst ein wenig auszuruhen und dann an die Schublade mit dem Ring zu gehen und Martha eine Liebeserklärung zu machen, von der sie sich jedes Wort merken würde. Samy setzte sich aufs Bett, um seine Schnürbän-del aufzuknoten. Als er den Kopf wieder hob, sah er die Sterne am Himmel über dem Meer von Nizza. Er dankte Gott dafür, dass er, Samuel Bronstein, trotz Rheuma im Knie und einem ebenso alten Magen noch jung genug war, um verlorene Töchter nach Hause zu holen und Liebeserklärungen zu machen, die eines Dichters würdig waren. Gott nickte ihm freundlich zu. Dann wurde es nachtschwarz im Schlafzimmer. Zufrieden rollte Samy zur Seite. Er schlief ein, ehe Martha ihm ein Kissen unter seinen Kopf schieben konnte. Die Schuhe und die Jacke mit den kupferroten Haaren von Madame Minouche aus Nizza, mit der Samy seine Mieze betrogen hatte, musste sie ihm ausziehen.
    Auch Rose saß auf ihrem Bett. War sie noch fremd oder schon zu Hause? Ihre Mutter hatte vor der hastigen Abfahrt zum Flughafen immerhin daran gedacht, die Puppe mit dem königsblauen Samtkleid in den Schrank zu setzen, aber sie war nicht mehr dazu gekommen, das Bett aufzudecken und ein Nachthemd herauszulegen, wie sie es abends immer getan hatte, wenn die Tochter spät nach Hause kam. An der Wand war ein heller Fleck. Dort hatte der Kalender von Peter Rabbit gehangen. Liesel streichelte Rose’ Haar, und Rose ließ es geschehen.
    »Mir kommt es noch total komisch vor, dass ich bald Großmutter werde. Ich muss mich erst an den Zustand gewöhnen.«
    »Mir geht es genauso. Ich muss mich auch erst daran gewöhnen, eine Mutter zu sein. Ist das eigentlich sehr schwer?«
    »Und ob«, sagte Liesel, »ich habe mir immer vorgenommen, eine besonders gute Mutter zu sein. Aber ich glaube, es hat nicht so ganz geklappt.«
    »Quatsch«, sagte Rose. »Es hat ganz prima geklappt. Nur schade, dass du plötzlich Angst vor mir hast. Daddy auch.« »Was soll das heißen?«
    »Weil ihr mir nicht erzählen wollt, was mit David los ist. Ich kenne David. Wenn er gewusst hätte, dass ich nach Hause komme, wäre er hier gewesen. Ganz egal, wie böse er mir ist. Also muss was ganz Schlimmes passiert sein.«
    In diesem Moment begriff Liesel, dass sich nicht nur Rose’ Körper verändert hatte. Ihrer Tochter war mehr genommen worden als die Mädchenfigur. Sie konnte nie mehr auf Vater und Mutter als allzeit bereitstehende Helfer in der Not bauen. Weil Liesel sich an diesem Urvertrauen nur sieben Jahre hatte stärken dürfen, war sie manchmal gar auf die eigene Tochter neidisch gewesen. Rose hatte nur ihre Hand auszustrecken brauchen und schon einen Zipfel vom Glück zu fassen bekommen. Nie wieder würde es so sein. Der Schmerz, den Liesel spürte, war stechend. Es war der alte Traum der Mütter, die Leidenslast der Kinder zu tragen.
    Nur einen kurzen Augenblick wünschte sie sich, sie hätte zu vertuschen und zu verschleiern gelernt und wäre
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