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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo
Autoren: Stefanie Zweig
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wie nie mit der des Humors, tat beiden gut. Liesel legte ihren Kopf auf Emils Schulter. Eine Seligkeit lang spürte sie nur Wärme und Zuversicht, und sie verwünschte jede Minute, die sie in ihrer Ehe mit der Eifersucht auf ihre Cousine June vertan hatte. Wie lange das her war, wie wenig noch von Belang. June war in
    Boston verheiratet. Zu hohen Feiertagen und Liesels Geburtstag schickte sie romantische Karten. »Denkst du oft an June?«, fragte sie trotzdem, denn sie war eine Frau und zudem eine, die nichts vergaß, weder das Gute noch das Schlechte.
    »Jeden Tag«, lachte Emil. »Du, meine Güte, du stellst Fragen! Schau dir lieber den Himmel an. Eine Wolke ist rosa. Du wirst sehen, jetzt da Rose zurück ist, kommt auch das Eichhörnchen wieder. Es wackelt bestimmt schon mit dem Schwanz. Eichhörnchen können das Glück riechen.« Nach diesem Satz wurde keiner mehr ohne Angst und ohne Arg gesprochen. In Rose’ Schlafzimmer ging das Licht an, das ihre Mutter eineinhalb Stunden zuvor gelöscht hatte. Ihre Eltern hörten sie stöhnen, nicht laut, doch regelmäßig. Emil, der immer noch zwei Treppen mit einem Satz nehmen konnte, erreichte Rose als Erster. Er beugte sich zu seiner Tochter herunter. »Was ist los, Rosie?«, fragte er mit der tröstenden Stimme vom Superdaddy der alten Tage. »Hat meine Kleine schlecht geträumt?«
    »Es geht los«, sagte seine Frau. Sie drückte die Hand ihrer Tochter und drängte Emil vom Bett. Nur kurz hatte sie das Bedürfnis, ihren Mann zu schütteln, weil er seiner Tochter, die ein Kind bekam, Kinderfragen stellte, doch sie erinnerte sich, dass sie immer der Fels gewesen und Emils Stärke die Liebe war. Ihre Stimme war ganz ruhig. »Meinst du, du schaffst es, Rose zum Krankenhaus zu fahren? Ich glaube, das wird ihr lieber sein als ein Taxi. Und denk daran, dass keine von uns es eilig hat. Das Baby schon gar nicht. Erste Babys lassen sich Zeit.« Sie wollte die Krankenschwester zitieren, über die sie im Garten gesprochen hatten, doch Rose’ Gesicht war weiß. Es war ein Irrglauben der Upperclass, dass Witz und Ironie Allzweckwaffen waren. Gegen Angst versagte selbst britischer Humor.
    »Weiß David Bescheid?«, fragte Rose. »Bestimmt will er mein Baby sehen. Er hat doch schon als Kind für Kinder geschwärmt. Weißt du noch, wie er in Afrika dem kleinen Jungen in der Lodge seinen Sandwich gegeben hat?«
    »Ich werde ihn anrufen, sobald wir im Krankenhaus sind«, versprach ihr Vater und rieb ihre Hand warm. Seine eigene war ebenso kalt, doch das merkte er nicht. Emil hatte eine einschnürende Scheu, einem Rabbiner, den er kaum kannte, mitten in der Nacht zu erzählen, dass die verlorene Schwester seines nagelneuen Schwiegersohns aus Frankreich zurückgekehrt wäre und nun im Kindbett liege. Ob die Frommen ihre Töchter verstießen, wenn die uneheliche Kinder bekamen? »Ich werde David anrufen, sobald wir im Krankenhaus sind«, sagte Emil zum zweiten Mal. »Rabbi Myers wird ihn bestimmt sofort ans Telefon holen. Er hat ja selbst sechs Kinder.«
    Liesel saß hinten, hielt ihre stöhnende Tochter fest und bemühte sich, die Zeit zwischen den Wehen zu bemessen, doch von dem, was sie gelernt hatte, als sie vor neunzehn Jahren zum ersten Mal Mutter geworden war, war nichts geblieben. Auch sie suchte Halt in Wiederholungen. »Wir haben viel Zeit«, repetierte sie. Ihre Stimme war nicht mehr fest genug, sich selbst zu betrügen. Auch auf den Körper war kein Verlass mehr. Ihre Hände zitterten. Bestimmt hatte Rose keine Ahnung, was sie erwartete. Es war nicht so, dass Liesel sich keine Mühe gegeben hatte, ihre Tochter auf das Leben vorzubereiten. Nur hatte sie sich in erster Linie auf das Problem konzentriert, was ein junges Mädchen zu tun hat, um kein Kind zu bekommen.
    »Und Samy«, bohrte Rose weiter, »den müsst ihr auch anrufen. Er hat fest versprochen, dabei zu sein. Ich liebe Samy. Er ist der einzige Mann, den ich je lieben werde. Er hat mich gerettet.«
    »Du wirst einen gewaltigen Krach mit Granny kriegen, wenn du das noch einmal sagst, Rosie.«
    Vielleicht waren Scherze doch nützlich. Die Krankenschwester auf der Station, zu der eine sauertöpfische Pförtnerin Liesel und Rose per Zeigefinger delegiert hatte, ohne sie auf den Fahrstuhl hinzuweisen, hielt es auch mit einem Scherz. Sie schaute Rose an, die sich am Arm ihrer Mutter krümmte, und rief mit einer Blechstimme, die allein schon ein Schock war: »Wen haben wir denn da? Einen Mordselefanten mit einem
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