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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo
Autoren: Stefanie Zweig
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die Welt umarmt. Ihm hatte sie vor allen anderen von den kleinen Niederlagen und den großen Hoffnungen erzählt. Es war dieser Daddy mit der Engelsgeduld, der ihr Mut gemacht hatte, wenn sie nicht begreifen konnte, dass es ein so lange währender und so schmerzhafter Vorgang war, aus der Kindheit herauszuwachsen. Und nie hatte dieser Vater der Liebe die wunderbarste aller Blumen fühlen lassen, dass im Leben eines Mannes Söhne mehr bedeuten als Töchter. Wer das nur angedeutet hätte, den hätte Rose ausgelacht, schallend und spöttisch. Ihr Vater war nicht wie andere Männer. Er war gerecht wie keiner sonst, und er teilte seine Liebe Unze pro Unze gerecht zwischen seinen beiden Kindern auf. Nur, er liebte seine Tochter ein kleines bisschen mehr als seinen Sohn. Vielleicht ahnte es David. Rose wusste es bestimmt. Sie war schon im Kinderwagen eine Vatertochter gewesen. Allerdings hatte sie auch eine bemerkenswerte Mutter. Die hatte es der Tochter ermöglicht, ihrem Herzen ohne schlechtes Gewissen zu folgen. Hätte Liesel die Neigung gehabt, Leistungen zu erwähnen, auf die sie stolz war, hätte sie von Rose’ Verhältnis zu ihren Eltern gesprochen, doch Stolz auf die eigene Person war für Liesel ein Thema, das sie noch nicht einmal mit ihrem Spiegelbild erörterte.
    Bewegt drückte sie die Vatertochter, die zum ersten Mal auf die Mutter zugelaufen war, an sich. Sie wusste um die Kostbarkeit des Augenblicks, denn auch die, die nicht weinen können und die stumm und verlegen am Rande stehen, wenn andere Menschen von ihren Gefühlen sprechen, sind verletzbar. »Gott sei Dank, dass du es rechtzeitig nach Hause geschafft hast«, sagte sie. Noch hatte diese kluge Mutter, die alles registrierte und analysierte und der nie etwas entging, das sie sich zu merken hatte, eines nicht begriffen: Die Zeit der Kinderscherze war vorbei. Für immer. Ohne auch nur zu erröten und absolut ohne Wehmut, sagte Liesel: »Ich finde, unser Peter Rabbit hat Großartiges geleistet.«
    »Es war Samy«, erwiderte Rose ernst, und nun erging es ihr ebenso wie zuvor ihrem Ritter und Retter. Einen kurzen Augenblick hielt sie den kleinen, weißhaarigen Riesen, den Weggenossen einer Nacht, für ihren Großvater. Erst dann dämmerte es ihr, dass ihre Mutter einen Witz gemacht hatte, doch sosehr sie sich auch bemühte, es gelang ihr nicht zu lachen. »Es war Samy«, wiederholte sie. «Ist David zu Hause?«
    Emil hatte sich von seinem Kompagnon einen Rover geliehen. Mit Besitzerstolz führte er Rose und Samy zum Parkplatz. Der Wagen war nicht nur geräumig und keine vier Wochen alt. Er vermittelte denen, die in ihm saßen, ein Gefühl von Luxus, das alle an jedem anderen Tag als ein außergewöhnliches und unvergessliches Erlebnis empfunden hätten. Die mit grünem Leder gepolsterten Sitze verwöhnten Glieder, die monatelang mit einem zu kurzen Sofa und die Nacht zuvor mit einer Bank am Meer hatten auskommen müssen. »Es riecht nach Zuhause«, sagte Rose. Sie atmete tief ein, als sie Zuflucht bei der kleinen Schwindelei suchte, doch immerhin dachte sie an den alten Windsorstuhl, den Liesel auf einem Antiquitätenmarkt aufgestöbert hatte. Er stand in Davids Zimmer, und Rose hatte ihn ihrem Bruder immer missgönnt. Jahre schien das her. Es war schwer, sich vorzustellen, dass sie sich wegen eines Ledersessels hatte grämen können. Ihr fiel auf, dass niemand ihre Frage nach David beantwortet hatte.
    Rose saß neben ihrem Vater. Es war der Platz, der bei
    Familienausflügen immer der Mutter oder Granny zugestanden hatte, niemals den Kindern. »Meine Kinder werden immer vorn sitzen«, hatte David einmal angesagt. Es war kurz nach der Safari in Kenia gewesen, das letzte Jahr seiner Kindheit. Rose war schon aufgebrochen in das Leben, in dem sich ein Mädchen die Ratschläge der Eltern verbat.
    »Dann musst du eine Kikuyufrau heiraten«, hatte Liesel gekontert, »die hat keine eigene Meinung. Die trägt ohne zu murren alle Lasten auf dem Kopf, und ihr Mann trägt nur das Huhn.«
    »Abgemacht«, hatte sich David entschieden, »ich heirate eine Kikuyu. Sie haben mir ja auch sehr gut gefallen. Bestimmt sind Frauen, die keine eigene Meinung haben, ganz praktisch.«
    Rose wunderte sich, dass sie sich noch so gut an den Klang von Davids Stimme erinnern konnte. Früher war seine Stimme ihr nie als außergewöhnlich aufgefallen. Auch hatte sie in letzter Zeit nicht mehr oft an ihren Bruder gedacht. Nun, da ihr dies auffiel, quälte sie der Gedanke, er könnte das
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