Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo
Autoren: Stefanie Zweig
Vom Netzwerk:
spüren und gekränkt sein. Am Ende war er in der Zeit ihrer Abwesenheit erwachsen geworden, vielleicht auch eitel. Sie setzte an, um abermals zu fragen, ob David denn zu Hause auf sie wartete, und sie wollte auch wissen, wie er ihre plötzliche Flucht aus dem Elternhaus aufgenommen hatte. Mit einem Mal aber traute sie sich nicht, nur eine einzige Frage zu stellen. Ihr Herz tobte. Sie war froh, dass es keiner außer ihr hörte. Vor der Begegnung mit David, der ja stets das Richtige tat und dachte und der nie verzieh, hatte sie Angst, sehr viel mehr, als sie vor dem Wiedersehen mit Vater, Mutter und Granny gehabt hatte. Diese neue Furcht kam Rose wie eine Wand aus Nebel vor; obwohl sie immer wieder probierte, gegen die graue Mauer zu rennen, kam sie nicht durch. Ihre Hände wurden klamm, die Beine schwer. Eine ganze Kindheit lang war sie, die Ältere, immer auch die Mutigere und Stärkere gewesen, eine zum Siegen bestimmte, souveräne Kämpferin, die allzeit den kleinen Bruder spüren ließ, dass er nie so beliebt sein würde wie sie. Und mit seinen roten Haaren auch nicht so schön.
    »David!«, versuchte es Rose, aber sie hielt inne. Dieses Mal fiel ihr das Schweigen im Wagen sofort auf und dass ihr Vater auf die Hupe drückte, obwohl kein anderes Auto in seiner Nähe war.
    »Was ist los?«, wollte Liesel wissen.
    »Was soll los sein?«, fragte Emil zurück.
    Die Häuser sahen alle aus, als wären sie frisch verputzt worden. Ältere Männer in Ferienkleidung mähten kleine Stück Rasen mit neuen Maschinen. Üppige gelbe und lila Dahlien leuchteten noch in der Dämmerung. Die Vogelscheuchen, die der Größe der kleinen Vorgärten angepasst waren, trugen schwarz-beige karierte Mützen und rauchten Pfeife. Spatzen und Tauben hockten auf Hecken und Zäunen, doch es waren die Straßenschilder, die Rose als lang vermisste Freunde begrüßte. Monatelang hatte sie kaum ein englisches Wort gelesen, nur immer wieder den Text auf Peter Rabbits Kalender und die eigenen spärlichen Eintragungen in ihrem Notizbuch. Jedes Schild, jede Reklame an den Hauswänden schien ihr vertraut und wohlgesinnt. Ab und zu schloss sie die Augen, machte sie aber sofort wieder auf, um immer wieder zu genießen, dass sie nicht mehr in Nizza und dass der Albtraum vorbei war. Auf einem Poster wurde für ein Musical geworben. Peter Pan trug einen grünen Hut mit einer langen Feder. Rose dachte daran, dass sie sich als kleines Mädchen gewünscht hatte, eine Fee an seiner Seite zu werden. »Du wirst dich noch wundern«, hatte David sie gewarnt, »es wird selbst dir keinen Spaß machen, immer nur schön zu sein. Und blöde.«
    Das Kind in ihr bewegte sich. Wie immer machte ihr das Gefühl Angst, dass sie nicht wusste, was solche Bewegungen bedeuteten. Es war gut, dass sie endlich ihre Mutter fragen konnte, ob es mit rechten Dingen zuging, wenn ihr Baby im Bauch so heftig strampelte, dass sie dachte, sie würde platzen. Lebte denn so ein Kind schon? Und woher wusste eine Frau, wann es Zeit für die Geburt war. Wollte ein Baby überhaupt geboren werden, wenn die Mutter erst neunzehn war und sich nicht auf ihr Kind freute? Vielleicht würde sie auch mit Granny sprechen und ihr gestehen, dass sie nicht verstand, was mit ihr geschah, und wie gern sie wieder in ihre alte Schule gehen würde. Mit Lehrern, die gar nicht so übel gewesen waren, und mit lustigen, schlanken Freundinnen, die nicht von Kinderkriegen redeten.
    Gran würde bestimmt nicht fragen, wer der Vater von diesem strampelnden Baby war. Bei ihrer Mutter war Rose sich da längst nicht sicher. Die hatte nie Ruhe gegeben, ehe sie nicht auch das erfuhr, was ihre Kinder ihr nicht sagen wollten. Das Gute an Granny war, dass sie nie peinliche Fragen stellte, und sie hatte nie ein Geheimnis verraten. War eigentlich eine Frau verpflichtet zu sagen, wer der Vater ihres Kindes war? Vielleicht gab es ein Gesetz, das so etwas regelte. David würde das wissen. Wie gut, dass er Jura studierte. Wenn er nur nicht seinen superklugen Kopf schüttelte, sobald er erfuhr, dass Rose noch nicht einmal Pascals Nachnamen buchstabieren konnte. Warum zum Teufel hatte Rose ihn nie danach gefragt. Ihr Vater nahm eine Hand vom Steuerrad. Er streichelte ihre Wange. Ganz sanft. Wie ein Schmetterling, der auf eine Blüte fliegt. Genau wie früher.
    »Du musst uns nichts erzählen, was du nicht willst«, sagte er.
    »Woher weißt du?«
    »Hast du vergessen, dass ich Gedanken lesen kann? Deine.«
    »Könntest du«, bat Martha,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher