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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo
Autoren: Stefanie Zweig
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jünger aus als der
    Sohn im schwarzen Anzug, mit Bart und mit Hut. Erst als Liesels Augen wieder trocken waren, sah sie Miriam. Sie stand vor der weißen Wand und streckte den Ihren die Hände entgegen. Ihr dunkles Kleid reichte bis zu den Waden, die groben Strümpfe waren schwarz. Schwarz wie ihr Haar. Es war lang und füllig und nach der neuesten Mode frisiert; Liesel starrte die Frisur frappiert an. Dann begriff sie, dass ihre junge Schwiegertochter eine Perücke trug. Sie hatte nie verstanden, weshalb fromme jüdische Frauen ihr Haar nur dem eigenen Mann zeigen durften, aber mit gepflegten, verführerischen Perücken ausgingen. Sie sah, dass Miriam, dieses Kind, das ein Kind geheiratet hatte, bereits schwanger war und wollte ihr sagen, dass sie sich freue.
    »Die Schwester will was«, sagte Miriam.
    »Los«, rief die Hebamme, »die Damen sind ganz schön ungeduldig.«
    Liesel hetzte in Richtung Kreißsaal, absolut nicht wie eine Großmutter, die soeben noch über die Tücken des Alters und die Nadelstiche der Wehmut gegrübelt hatte, sondern wie Liesel in der Nakuru School, die im Hockeymatch gegen die Schülerinnen aus Limuru das Entscheidungstor geschossen hatte.
    »Ich habe Angst«, gestand Emil, »noch mehr Angst, als ich bei meinen eigenen Kindern hatte.«
    »Es ist gut, wie es ist«, tröstete ihn das Kind, dem sein Sohn in die fremde Welt gefolgt war. Zum ersten Mal lächelte Emil seiner Schwiegertochter zu, noch ein wenig abwesend, sehr überrascht, wie gut ihm ihr Zuspruch tat. Als er feststellte, dass ihre Züge ebenmäßig waren und dass sie die gleichen bezwingenden Augen hatte wie June, lächelte er wieder. Diesmal nur als Mann.
    »Der Allmächtige«, sagte David, obgleich nach dem, was Miriam für seinen Vater getan hatte, Trost nicht mehr nötig war, »hat doch Rose nicht aus Nizza geholt, damit ihr hier was passiert.«
    Der Sohn sprach ein Gebet. Der Vater, der nie Hebräisch hatte lernen dürfen, verstand nicht, was er sagte, und doch war es für Emil kein Fremder mehr, der da demütig an der Wand stand und sich einem Vater anvertraute, der allen Menschen Vater ist. Hinter David, der mehr von der Liebe wusste, als andere je wissen würden, stand eine Frau, in deren Leib Emils zweites Enkelkind wuchs. War das der Segen des Alters? Ein Enkelkind nach dem anderen? Graues Licht kündigte den Tag an. Martha und Samy saßen zu zweit auf drei Hockern, eng umschlungen, geduldig und zufrieden.
    »Ist das nicht zu viel für dich Samy nach der anstrengenden Reise? Ich hätte euch doch sofort benachrichtigt, wenn es so weit ist.«
    »In Nizza haben Rose und ich eine Abmachung getroffen, und da lassen wir uns von keinem reinreden. Ich darf der zweite Großvater ihres Kindes sein. Sie hat mir erzählt, dass sie sich als Kind immer gegrämt hat, weil sie noch nicht einmal einen Großvater hatte.«
    »Ich auch«, sagte Emil, »aber ich wusste, warum das so ist.« »Täusch dich nicht«, sagte Samy. »Sie weiß es auch.«
    Auf dem Flur erschien Schwester Prue. »Der Vater«, kommandierte die Donnerstimme, »kann jetzt kommen. Die junge Mutter will es.« Emil rannte los, das Gesicht verzerrt, die Hände zu Fäusten geballt. »Langsam«, mahnte Schwester Prue und hielt ihn fest. »Nicht so eilig, junger Mann«, schnarrte sie, »zum Erschrecken ist immer noch Zeit.«
    Rose, von der alle dachten, sie wäre noch jung genug, um nur zu spielen, war nun Mutter. Fünf Stunden, zwanzig Minuten und elf Sekunden hatten ihr Gesicht für immer verändert. Sie hatte Zwillinge geboren. Es waren zwei Mädchen, die sie auf ihrem Leib hielt, mit Stimmen, die man im ganzen Haus hören würde. Auch im Garten mit dem Apfelbaum und dem Eichhörnchen, das für die nächsten Tage zurückerwartet wurde. Wenn die Zeit dafür gekommen war, würde Onkel David den Mädchen erzählen, welch ein Wunder es war, dass sie auf ihrer Reise ins Leben keinen Schaden genommen hatten.
    Die Großeltern der Zwillinge hielten einander fest. Obwohl sie kein Wort sagten, erklärten sie zu gleicher Zeit, dass sie nie aufhören würden, einander so zu lieben wie an dem gesegneten Tag, da sie einander gefunden hatten. Laut schwor Emil: »Ich werde diese Mädchen so verwöhnen, wie noch nie ein Kind verwöhnt worden ist.«
    »Das hat er bei deiner Geburt auch gesagt«, erinnerte sich Liesel, »genau das.«
    »Es ist ihm auch gelungen«, sagte Rose. Für einen Moment sah sie so aus wie die kleine Ballerina, der niemand je böse sein konnte, aber sie lächelte
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