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Und dann der Himmel

Und dann der Himmel

Titel: Und dann der Himmel
Autoren: Jan Stressenreuter
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man, man hat endlich den Mann fürs Leben gefunden, ist froh, die unendlich anstrengende Suche nach dem Richtigen nicht fortsetzen zu müssen. Man wird ja auch nicht jünger, und die Nächte, die man in dunklen, verräucherten Kneipen auf der Pirsch verbracht hat, lassen die Haut und die Leber vorzeitig altern –, freut sich auf eine gemütliche, vorhersehbare Reise in eine Zukunft zu zweit, mit Toskana-Urlauben, Kabelfernsehen und einer Eigentumswohnung –, und dann begibt sich der Unterleib des Auserwählten auf Abenteuerfahrten, die bei der Ferienplanung im Pauschalangebot nicht mit inbegriffen waren, noch dazu in meinen eigenen vier Wänden. In solchen Fällen zücke ich dann immer sofort die Reiserücktrittsversicherung, aber ist es ein Wunder, dass meine Enttäuschung groß und mein seelisches Gleichgewicht trotzdem aus dem Lot gekommen waren? Immerhin ist es nicht das erste Mal, dass meine Erwartungen mit Füßen getreten wurden. Eigentlich waren Finns Vorgänger alle vom selben Schlag gewesen.
    In meine rechtschaffenen Gedanken vertieft, stieß ich nach einer knappen Stunde Autofahrt endlich auf den idealen Platz, um ein weiteres trostloses Kapitel meines Lebens abzuschließen und neue Kraft zu tanken. Die ersten Ausläufer des Hunsrück ließen die Straßen hügelig werden und etwas zurückgesetzt hinter einem kahlen Eichenwäldchen fand ich einen schmalen Bach, der eiskaltes Wasser querfeldein führte. Am Ufer des Gewässers war sogar eine Holzbank aufgestellt, die dazu einlud, den Blick über die schneebedeckte Landschaft streifen zu lassen. Ich parkte den Wagen neben einem Mülleimer, stieg aus und fütterte gedankenverloren ein paar herbeischwimmende Enten mit einer angebrochenen Tüte extra scharfer Tortilla-Chips, die ich auf dem Boden des Beifahrersitzes gefunden hatte. Die meisten Enten lehnten meine Futterkrumen schon nach einer kleinen Kostprobe angewidert ab, aber ein besonders gefräßiger Erpel bekam gar nicht genug. Vielleicht hatte er ja mexikanische Vorfahren. Immer wieder bettelte er mich um Nachschub an und trat mir in seiner Gier sogar auf die Füße. Schließlich hatte ich die Nase voll.
    „Du unersättliches, blödes Miststück!“ schrie ich den Erpel an. Irgendwie erinnerte er mich auf einmal an Finn. „Kannst du dich nicht zufrieden geben mit dem, was du hast?“ Aber anscheinend war mein Wutausbruch etwas zu heftig ausgefallen oder die Ente hatte ein schwaches Herz oder eine Überdosis Tortilla-Chips intus, jedenfalls zuckte sie erschrocken zusammen, dann quollen ihr plötzlich die Augen aus den Höhlen und dann fiel sie tot um.
    „Ach, du Scheiße“, flüsterte ich und starrte entsetzt auf den Leichnam vor mir im Schnee. „Ich habe eine Ente totgeschrien!“ Im Grunde hätte mir da schon klar sein müssen, dass dieser Tag nur noch schlimmer werden konnte.
    Unschlüssig, was ich nun machen sollte, wanderte ich am Bach entlang, warf ein paar Steine ins Wasser und rauchte eine Zigarette, um meine Nerven zu beruhigen. Danach betrachtete ich erneut die Leiche neben meinem Auto und stupste sie vorsichtig mit dem Fuß an. Kein Zweifel, der Erpel war nicht nur ohnmächtig, er war wirklich richtig tot. Zögernd öffnete ich den Kofferraum, packte die ermordete Ente an den Füßen und legte sie auf die Wolldecke neben den Verbandskasten. Ich hatte die vage Vorstellung, meinem Opfer zu Hause wenigstens ein würdiges Begräbnis zukommen zu lassen. Anschließend setzte ich mich in den Wagen und machte mich noch verstörter als vorher auf den Heimweg. Die untergehende Sonne des klaren Wintertages blendete, während ich über eine dieser verschneiten, einsamen Landstraßen tuckerte, und ich fluchte innerlich, weil ich vergessen hatte, meine Sonnenbrille einzustecken.
    Es passierte, als ich versuchte, durch die Windschutzscheibe nach oben zu linsen, ob nicht vielleicht doch irgendwo eine Wolke in Sicht war, die das grelle Sonnenlicht verdecken würde. Aber anstatt einer Wolke entdeckte ich einen winzig kleinen Fleck sehr hoch über mir am Himmel, der mit erstaunlicher Geschwindigkeit auf die Erde zuraste und größer und größer wurde. Zuerst hielt ich es für einen Vogel, vielleicht eine Art Bussard, der in den Feldern eine Maus erspäht hatte, dann erwog ich die Möglichkeit, dass ein Flugzeug seine Fäkalabfälle zielgerichtet auf mein Autodach abließ, und zum Schluss tippte ich darauf, das höchst unwahrscheinliche Privileg zu genießen, von einem Meteoriten erschlagen zu werden. Wenn
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