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Und dann der Himmel

Und dann der Himmel

Titel: Und dann der Himmel
Autoren: Jan Stressenreuter
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einfach nicht mehr schwindelig werden, er darf einfach nicht mehr fallen.
    Der alte Mann setzt sich wieder in Bewegung; im Park kommen ihm ein paar vertraute Gesichter entgegen, die er nicht sofort einordnen kann. Nachbarn? Bekannte? Er tippt sich mit einer fahrigen Geste an den Hut und murmelt einen unverfänglichen Gruß. Als er den Supermarkt vor sich sieht, atmet er gegen seinen Willen erleichtert auf.
    Damals, als er hierher gezogen ist, gab es den Supermarkt noch nicht. Es gab auch keinen Park und es gab noch nicht einmal eine Nachbarschaft. Einzig sein, ihr Haus stand schon da, umgeben von einem dunklen Tannenwald; das nächste Gehöft war Kilometer weit entfernt, getrennt durch Ackerboden und Felder. Nur die Berge, die hat es damals auch schon gegeben. Es hat lange gedauert, bis er mit der Abgeschiedenheit klar kam, weil er das Leben in der Großstadt gewohnt war, aber schließlich war er damals ja nicht allein. Es ist seine Entscheidung gewesen, hierher zu kommen, und er hat sie nicht bereut. Das Städtchen entstand im Lauf der Jahre um sie herum, es war eine schleichende, fast unmerkliche Eroberung. Erst hier ein Haus, dann dort ein Zufahrtsweg, eine Straße, dann auf einmal eine Schule, ein Spielplatz und dann musste der Tannenwald dem Park und dem Supermarkt weichen.
    Die Tür des Einkaufszentrums öffnet sich automatisch, als der alte Mann auf sie zugeht. Er nimmt sich einen Einkaufswagen und läuft mit schleppenden Schritten die prall gefüllten Gänge entlang. Aus den Lautsprechern dudelt undefinierbare Musik. Verstört schweift sein Blick über Fischkonserven, Waschmittelangebote und die Käsetheke. Er versucht sich zu erinnern, was er einkaufen wollte, aber die Vielfalt und Unübersichtlichkeit des Angebots verwirren ihn. Erst als er an der Obsttheke vorbeikommt, fallen ihm wieder die zwei Bananen ein, die er besorgen wollte. Bananen, Margarine und ein bisschen Leberwurst für den Kater. Er legt die Artikel in den Wagen und stellt sich an der Kasse an. Die Kassiererin wünscht ihm gelangweilt einen guten Tag, als sie seine Einkäufe über den Scanner zieht. Er sieht sie irritiert an, weil er einen Moment lang befürchtet, die Frau ebenfalls eigentlich kennen zu müssen, aber sie hat ihm nur dieselbe gleichgültige Freundlichkeit zuteil werden lassen wie jedem anderen Kunden auch.
    Der alte Mann zieht sein Portemonnaie aus der Hosentasche und verspürt für einen kurzen Moment einen leichten Schmerz in seinem linken Arm. Schweißperlen bilden sich auf seiner Stirn, als er der Kassiererin das Geld reicht.
    „Ist Ihnen nicht gut?“ fragt sie und sieht ihn einen Moment besorgt an.
    „Geht schon“, winkt er ab. „Die Hitze, sonst nichts.“ Nichts wäre ihm peinlicher, als hier vor allen Leuten einen Schwächeanfall zu erleiden.
    Er packt so schnell wie möglich seine Einkäufe in eine Tragetasche und verlässt den Supermarkt. Nach der erfrischenden Kühle des klimatisierten Raumes trifft ihn die Hitze draußen, als hätte ihm jemand einen Pflasterstein gegen den Kopf geworfen. Wieder zuckt ein Stich durch seinen linken Arm und der alte Mann verzieht unwillkürlich das Gesicht. Die Tragetasche ist plötzlich unendlich schwer und er stützt sich auf seinen Stock und atmet tief durch. Nach einer Weile geht es ihm besser und er nimmt das erste Stück seines Heimwegs in Angriff.
    Im Schneckentempo schlurft er durch den Park, vorbei an immergrünen Büschen, Platanen, die wegen der Wärme ihre Rinde abwerfen, und ein paar von der Sonne verbrannten Rosenstöcken. Zwei halbwüchsige Jungen rasen auf ihren Fahrrädern an ihm vorbei und erschrecken ihn mit ihren lauten Klingeln fast zu Tode. Ansonsten ist er in der flirrenden Nachmittagshitze allein.
    Erschöpft setzt er sich auf die Parkbank, auf der er auf dem Rückweg immer eine Pause einlegt. Hier hat er einen guten Blick auf die Berge und eine Entschuldigung, seinem letzten verbliebenen Laster nachzugehen. Die einzige Zigarette, die er sich am Tag gönnt, als Belohnung, dass er die Anstrengung des Einkaufs fast hinter sich gebracht hat. Eigentlich hat er mit dem Rauchen vor Jahren aufgehört, aber diese eine Zigarette lässt er sich nicht nehmen.
    Er kramt gerade in seiner Hosentasche nach seinem Feuerzeug, als ein weiterer Stich seinen Arm hinauffährt, sich über die Schulter zu seinem Herzen vorarbeitet und dann seine Brust trifft. Überrascht lässt er die Einkaufstüte fallen, die Margarinedose rollt über den asphaltierten Gehweg. Was für eine
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