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Und dann der Himmel

Und dann der Himmel

Titel: Und dann der Himmel
Autoren: Jan Stressenreuter
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größer.
    Stirnrunzelnd sah mich der fremde Mann an. „‚O Gott, warum suche ich mir immer solche Idioten heraus!‘“ zitierte er mich. „Und dann hast du darüber nachgedacht, wie schön es wäre, wenn dir jemand bei der Suche nach dem Mann deines Lebens behilflich sein könnte. Voilà, da bin ich!“
    „Aber das war kein Gebet, das war ein Stoßseufzer!“ erklärte ich. „Es war rhetorisch gemeint!“
    „Alle Sätze, die mit ‚O Gott‘ anfangen, werden bei uns als Fürbitten oder Gebete registriert und nach Eingangsstempel abgearbeitet. Wenn du es nicht so meinst, dann überleg dir beim nächsten Mal ein bisschen genauer, was du sagst!“
    „Was soll das denn heißen?“
    „Das heißt, dass die Aufhebung meiner Verbannung mit der Aufgabe verbunden wurde, dir einen Mann zu besorgen. Sechs Tage Zeit wurden mir eingeräumt, bis Heiligabend. Also erzähl mir jetzt nicht, dass du einen Rückzieher machen willst! Auch für mich als Engel steht hier einiges auf dem Spiel! Davon abgesehen … du brauchst einfach Halt in einer festen Beziehung, dann geht es mit deinem Leben auch wieder aufwärts. Ich meine, du willst doch nicht ewig Synchronsprecher für Tomatenketchup bleiben und Latte Macchiato mit einer Prise Zimt auf dem Sahnehäubchen durch die Gegend tragen, oder?“ Der entschlossene und leicht spöttische Tonfall in seiner Stimme war kaum zu überhören und ich war ziemlich sicher, dass einer von uns beiden bei dem Aufprall einen gehörigen Dachschaden erlitten hatte. Im Zweifelsfall der Schwachkopf vor mir.
    „Sie … Sie sind ein … Engel?“ fragte ich vorsichtig nach.
    „Du hast es erfasst, Marco! Alles Gute kommt von oben!“ Der Mann fing an zu lachen und kriegte sich kaum noch ein. „Ach, ich liebe Sprichworte! Sie sind so nichts sagend und fassen doch die gesammelte Weisheit der Menschen kurz und prägnant zusammen. Mittlerweile habe ich für jede Situation eines parat“, sagte er schließlich hicksend und wischte sich ein paar Tränen aus den Augenwinkeln.
    Meine offene Kinnlade war wahrscheinlich nicht die Reaktion, die er sich erhofft hatte, deshalb riss er sich zusammen und fuhr mit seiner Erklärung fort. „Ich bin wirklich ein Engel. Um genau zu sein, ein schwuler Engel. Jedenfalls der einzige, der sich dazu bekennt. Es gibt da so einige Kandidaten, die ihr Coming-out noch vor sich haben“, raunte er mir vertraulich zu. „Mein Name ist übrigens Rafael. Und bevor du nachfragst, ich bin nicht derjenige, der so theatralisch die Geburt des Gottessohns verkündet hat. Das war natürlich Gabriel, unsere Rampensau. Er drängelt sich immer gerne in den Vordergrund. Dabei kann er noch nicht mal Trompete spielen, das war alles Play-back. Ich bin mehr im Stillen tätig und zuständig für alles, was irgendwie mit Heilung zu tun hat. Du kannst mich übrigens ruhig duzen, wir werden ja jetzt viel Zeit miteinander verbringen.“ Rafael klopfte mir aufmunternd auf die Schulter und stieg ins Auto. „Was ist? Wollen wir fahren? Mir wird kalt!“
    Das war der Moment, als mir schwarz wurde vor Augen und ich umkippte.
    Als ich wieder zu mir kam, lag ich im Schnee, und der Mann, der behauptete, ein Engel zu sein, saß ein paar Meter von mir entfernt und kaute auf einem vertrockneten Grashalm, den der vergangene Herbst übrig gelassen hatte.
    „Sie sind ja immer noch da!“ stöhnte ich. „Ich hatte eigentlich gehofft, das alles nur geträumt zu haben!“
    „Ihr Menschen seid so kleingläubig“, erwiderte Rafael. „Alles, was ihr nicht sehen könnt, kann eurer Meinung nach auch nicht existieren.“
    „Das ist nicht wahr“, widersprach ich frierend, „ich bin zum Beispiel der festen Überzeugung, dass uns eines Tages die Vulkanier besuchen werden – im Moment allerdings glaube ich noch nicht einmal an das, was ich vor mir sehe“, fügte ich hinzu und klopfte mir eine Hand voll Schnee von der Hose.
    „Und was ist daran so schwer zu glauben?“
    „Sie … du wirkst nicht überzeugend“, gab ich entnervt zurück. „Ich meine, so eine beknackte Geschichte habe ich noch nie gehört! Ein Typ, der vorgibt, aus dem Himmel rausgeworfen worden zu sein, weil er Jesus der Homosexualität bezichtigt hat! Ich bitte dich! Außerdem hast du keine Flügel und jeder weiß, dass Engel Flügel haben. Es ist sozusagen ihr Hauptmerkmal! Und dann deine Beschreibung des Himmels! Den hab ich mir immer irgendwie – würdevoller vorgestellt. Stattdessen scheint es bei euch zuzugehen wie auf dem Olymp der
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