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Und dann der Himmel

Und dann der Himmel

Titel: Und dann der Himmel
Autoren: Jan Stressenreuter
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und Wahnvorstellungen. Marco hatte einen Autounfall, und weil der Schock so groß war, hat sein Gehirn den eigentlichen Vorfall verdrängt und halluziniert jetzt. So eine Art theistische Hysterie – nichts, was sich nicht jeder mal einfangen könnte.“
    „Eine was?“ frage ich.
    „Du liest dieses Käseblatt, das kostenlos in den Apotheken ausliegt?“ fragt Lars ungläubig.
    „Warum nicht? Da stehen nützliche Sachen drin“, verteidigt sich Patrick. „Was man gegen Eisenmangel tun kann, Tipps zum Gesundbleiben im Alter, Ratschläge bei Prostataproblemen.“
    „Leute, könnten wir uns mal auf das Wesentliche konzentrieren?“ unterbricht Anja den Wortwechsel. „Anscheinend unterschätzt ihr den Ernst der Lage! Nebenan liegt ein … ein Mann, von dem wir nicht viel mehr wissen als seinen Namen und dass er glaubt, ein Engel zu sein, noch dazu ein schwuler, und Marco scheint den Verstand verloren zu haben, weil er diesem Rafael seine durchsichtige Masche auch noch abnimmt!“
    „Wieso Masche?“ protestiere ich. „Vielleicht sagt er ja die Wahrheit!“
    Anja legt mir sachte eine Hand auf die Schulter und sieht mich durchdringend an. Irgendwie habe ich den Verdacht, sie hält hinter ihrem Rücken eine Zwangsjacke für mich bereit. „Marco“, sagt sie, „jetzt reiß dich zusammen. Versuch, das Ganze mal objektiv zu sehen. Du befindest dich zurzeit in einer emotional äußerst instabilen Lage …“
    „Du meinst wegen Finn?“ unterbreche ich sie. „Über den rege ich mich nicht mehr auf. Das ist er gar nicht wert.“ Dabei werfe ich Lars einen giftigen Blick zu.
    Lars beobachtet mich stirnrunzelnd; Anja schüttelt den Kopf und versucht es auf eine andere Weise. „Bist du ein sehr religiöser Mensch? Ich meine, glaubst du an die Wiederauferstehung, dass Jesus über Wasser wandeln konnte und an die Enthaltsamkeit vor der Ehe?“
    „Nein, eigentlich nicht.“
    Anja nickt erfreut. „Sehr schön. Für wie wahrscheinlich hältst du es dann, dass es tatsächlich Engel gibt?“
    „Für ziemlich unwahrscheinlich.“
    „Und wie groß ist dann die Glaubwürdigkeit von jemandem, der behauptet, er sei ein schwuler Engel und gerade aus dem Himmel verstoßen worden?“
    „Sehr gering“, erwidere ich kleinlaut.
    Anja lächelt mich gütig an und sieht so zufrieden aus, als hätte sie mich gerade erfolgreich aus den Fängen einer Sekte gerettet. „Na also! Das war doch gar nicht so schwer! Und wenn wir all das in Betracht ziehen, ist es dann nicht möglich, dass die Delle an deinem Wagen vielleicht tatsächlich von einem Unfall stammt? Vielleicht ist dir ja ein Skater oder ein Fahrradfahrer vor das Auto gefahren und vielleicht ist die Vermutung von Patrick gar nicht so weit hergeholt und dein Gedächtnis spielt dir einen Streich?“
    „Ja, vielleicht“, flüstere ich und schweige. Dann aber füge ich störrisch hinzu: „Und wieso hat dieser Rafael dann keine einzige Schramme und wieso ist er direkt vom Himmel gefallen? Nicht mal einen Fallschirm hatte er umgebunden! Außerdem war es eine völlig unbelebte Landstraße, zehn Kilometer vor der Stadt. Da gibt es keine Skater, es sei denn, die Bauern schnallen seit neuestem ihren Kühen ein paar Skateboards unter.“
    Lars haut mit der flachen Hand auf den Tisch. „So kommen wir nicht weiter“, erklärt er. „Wir sollten uns die ganze Geschichte noch mal von vorne anhören. Diesmal aber mit allen Details.“
    „Ja“, sagt Patrick. „Eine gute Idee. Ich könnte etwas Erheiterung gebrauchen. Mein Tag war nämlich wirklich beschissen. Das fing schon heute Morgen an, als ich …“
    „Halt die Klappe, Patrick, niemand interessiert sich für dich“, fährt Anja dazwischen. „Jetzt ist Marco an der Reihe. Fang am besten an der Stelle an, als du nach Hause gefahren bist“, sagt sie zu mir gewandt.
    Also schön, denke ich resigniert. Alles noch mal von vorne.
    Jedes Mal, wenn ich mich in einer Sinn- oder Lebenskrise befinde, fahre ich aus der Stadt heraus und suche mir ein Plätzchen mit einem kleinen, verträumten See oder einem träge vorbeirauschenden Fluss und ein paar hübschen Bäumen am Ufer zum Nachdenken. Die Ruhe, die die Natur ausstrahlt, ist Balsam für meine Nerven. Diesmal war die Trennung von Finn der Grund für meine Sehnsucht nach Einsamkeit. Sein Versprechen ewiger Liebe und Treue und sein anschließender Verrat, der gerade mal einen Monat zurücklag, hatten mich doch stärker in Mitleidenschaft gezogen, als ich mir eingestehen wollte. Da denkt
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