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Und dann der Himmel

Und dann der Himmel

Titel: Und dann der Himmel
Autoren: Jan Stressenreuter
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schuften muss für sein Geld, denn er ist von Beruf Sozialarbeiter und die Erfahrungen seines Jobs haben sowohl sein Äußeres als auch sein Weltbild geprägt. Wenn er von einem anstrengenden Arbeitstag nach Hause kommt, an dem er sich acht Stunden lang um jugendliche Knackis, verwahrloste Obdachlose und gewalttätige Ehemänner gekümmert hat, ist sein Rücken gekrümmt, seine Stirn von Sorgenfalten zerfurcht und seine Augen stumpf. Erst wenn er ein oder zwei Joints geraucht hat und seine Pupillen sich tellergroß geweitet haben, ist er wieder halbwegs ansprechbar. Das Elend, mit dem er tagtäglich konfrontiert wird, hat außerdem dazu geführt, dass er eine fürchterlich pessimistische Lebenseinstellung hat. Patrick ist eine männliche Kassandra. Nach den Anschlägen vom elften September hielt er die marokkanische Putzfrau unserer Nachbarn für einen Schläfer, obwohl sie so dick ist, dass sie kaum die Treppen hinaufkommt. Da er auch noch Hypochonder ist, denkt er bei jeder Zigarette, die er raucht, an den Lungenkrebs, der jetzt seine Atemwege zerfressen könnte, und als Deutschland sucht den Superstar im Fernsehen lief, sah er das Ende der westlichen Zivilisation gekommen, mit Dieter Bohlen als dem personifizierten Antichristen. Da konnten wir ihm allerdings nicht widersprechen.
    Dass diese negativen Gedanken sein Liebesleben beeinträchtigen, versteht sich von selbst. Seine letzte Freundin hat es nur zwei Monate mit ihm ausgehalten und befindet sich nach Patricks Aussage noch immer in therapeutischer Behandlung wegen anhaltender Depressionen. Wir dagegen haben uns an seine Launen gewöhnt, achten aber darauf, immer einen kleinen Vorrat an Hasch oder Marihuana im Haus zu haben.
    Beruflich gesehen führe ich sicherlich das interessanteste Leben. Ich bin Schauspieler. Eigentlich. Ich habe zumindest eine richtige Ausbildung an einer Schauspielschule erhalten und kann ausgezeichnet den Faust und den Hamlet deklamieren. Gerade für die letztere Figur habe ich meiner Meinung nach auch das ideale Äußere: Ich bin jung, sportlich und kann wunderbar sorgenvoll gucken, wenn ich mit einem Totenschädel spreche. Leider ist es auch so, dass ich von uns vieren den brotlosesten Beruf erwischt habe – Anjas Studentendasein darf man da nicht so richtig zählen –, denn ich bin zurzeit gewissermaßen im Grunde vorübergehend … freischaffend tätig.
    Ich meine damit, dass ich momentan nicht fest angestellt an einer Bühne spiele, sondern alles annehme, was Kohle bringt. Zum Beispiel mein derzeitiger Job als Synchronsprecher für Werbespots, für den mich meine sonore und melodische Stimme geradezu prädestiniert. Jetzt kann man sich sicherlich fragen, wozu man in der Werbung Synchronsprecher braucht, denn Herr Kaiser von der Hamburg-Mannheimer oder Frau Antje aus Holland sprechen ja Deutsch, zumindest halbwegs. Ich leihe meine Stimme daher auch eher denjenigen Dingen, von denen man gar nicht erwarten würde, dass sie überhaupt sprechen. So war ich zum Beispiel schon eine steppende Ananasdose, eine depressive Bakterie und ein hyperaktiver Fruchtzwerg. Der Tiefpunkt meiner Karriere war allerdings der Job als singende Kloschlüssel. Absolut erniedrigend. Dazu kommt noch, dass selbst das Geld, das ich damit verdiene, nicht zum Leben reicht und ich nebenbei noch kellnern muss, in einem Café direkt bei uns um die Ecke. Mir graut vor dem Tag, an dem einer der Gäste mich erstaunt ansieht und sagt: „Deine Stimme kommt mir irgendwie bekannt vor!“ und dann die Verbindung zwischen mir und dem lila Schokoladenweihnachtsmann zieht, den er eine halbe Stunde zuvor in einer Reklamesendung kurz vor den Sieben-Uhr-Nachrichten gesehen hat.
    Wie schon erwähnt, ist beziehungsmäßig im Augenblick eine Nullrunde bei mir angesagt. Ich scheine es nicht auf die Reihe zu kriegen, den Traumprinzen zu finden, und das schon seit Jahren. Alle Männer, die ich kennen lerne, setzen es sich in den Kopf, mich jederzeit und überall zu betrügen, obwohl ich von Anfang an klar mache, dass ich eher der treue Typ bin. Spätestens nach ein paar Wochen kommt es mit meinem Lebensabschnittsgefährten in spe zur großen Krise, er schreit mich an oder umgekehrt, es werden Türen geknallt und wertvolle Haushaltsgegenstände wie zum Beispiel ein Icecrusher gegen die Wand geworfen. Der letzte Kandidat, mit dem ich es immerhin fast ein halbes Jahr versucht habe, hat sogar gedroht, Fridolin XIII. mitsamt seinem Laufrad aus dem Fenster zu befördern – das war, bevor
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