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Ulysses Moore – Die Stadt im Eis

Ulysses Moore – Die Stadt im Eis

Titel: Ulysses Moore – Die Stadt im Eis
Autoren: Pierdomenico Baccalario
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Lederkoffer wie eine Boje halb über und halb unter der Wasseroberfläche.
    Seltsamerweise kam ihm der Koffer bekannt vor. Er erinnerte sich daran, dass er in den letzten wirren, dunklen Augenblicken an etwas hängen geblieben war, das sich gleichzeitig massiv und weich angefühlt hatte. Es hatte ihn vor Stößen bewahrt und ihn in dem Wirbel, der ihn mit sich gerissen hatte, an der Oberfläche gehalten.
    Mit ein paar Schwimmstößen erreichte er den Gegenstand, der ihm vermutlich das Leben gerettet hatte. Er war beinahe so groß wie er selbst. Tommaso kletterte hinauf. Der Koffer sank ein paar Zentimeter tiefer ins Wasser, ohne unterzugehen.
    Was für eine Katastrophe!, dachte Tommaso und betrachtete das Durcheinander umhertreibender Dinge. Anhand der Farbe des Wassers versuchte er herauszufinden, in welcher Richtung die Küste lag: In Landnähe war das Wasser gewöhnlich trüber und es schwamm mehr darin herum. Dann sah er zur Sonne hinauf, aber es gelang ihm nicht, von ihrem Stand die Tageszeit abzulesen.
    In Gedanken ging er all das durch, was er in den letzten Tagen erlebt hatte. Er dachte an seine Eltern in Venedig und daran, dass sie sich wohl inzwischen furchtbare Sorgen um ihn machten. Dann dachte er an Anita, die irgendwo in den Pyrenäen herumirrte. Und schließlich an Julia.
    Als an seinem Kofferboot ein Kleiderbügel vorbeischwamm, fischte er ihn aus dem Wasser und setzte ihn als Ruder ein. Er versuchte, damit gegen die Strömung anzurudern und in die Richtung zu steuern, in der er das Festland vermutete.
    Bald musste er feststellen, dass das Rudern auf offener See wesentlich anstrengender war als in der Lagune von Venedig. Jedes Mal wenn er eine kurze Pause einlegte, trieben ihn die Wellen unerbittlich wieder zurück.
    Manchmal hörte er ein Plumpsen, das sich anhörte, als würde etwas ins Wasser fallen. Einen Augenblick lang fragte er sich, ob das, was ihm vorhin wie ein sinkender Konzertflügel vorgekommen war, vielleicht ein Meeresbewohner gewesen sein könnte. Ein Wal zum Beispiel. Oder ein großer Hai.
    Es gibt hier gar keine Haie, beruhigte er sich. Doch dann fiel ihm ein, dass der Leuchtturmwächter von Kilmore Cove genau in diesem Meer von einem Hai angegriffen worden war. Zumindest hatte er das in den Büchern von Ulysses Moore gelesen.
    Er schloss die Augen und schob sich das nasse, mit Sand verklebte Haar aus der Stirn. Dann ruderte er verbissen weiter.
    Nach gut zehn Minuten merkte er, dass er vollkommen erschöpft war. In seinen Ohren pfiff es, und sein Kopf fühlte sich an, als würde er gleich platzen. Der Kleiderbügel rutschte ihm aus den Händen. Verzweifelt versuchte Tommaso, ihn wieder aus dem Wasser zu angeln, aber er war so kraftlos, dass er seinen eigenen Körper nicht mehr steuern konnte.
    Erschöpft ließ er sich auf den Koffer sinken. Er umfasste ihn mit beiden Armen, um nicht ins Wasser abzurutschen, und sagte sich: »Nur einen Augenblick. Ich ruhe mich nur einen Augenblick lang aus, und …«
    Und dann verlor er das Bewusstsein. Die Strömung trieb ihn auf dem schwarzen Koffer vor sich her.

Kapitel 2
Auf der Küstenstraße
    Sechs Paar Beine liefen, so schnell sie konnten, auf der Küstenstraße nach Kilmore Cove hinunter. Weiter unterhalb, auf der Höhe des Hafens, ergoss sich der Strom aus Wasser und Schlamm ins Meer und nahm alles mit, was er auf den Straßen gefunden hatte. Das Wasser war in der Altstadt entsprungen und von dort in die Hauptstraße geflossen, die es augenblicklich in ein Flussbett verwandelt hatte.
    Auf dem Hauptplatz stand das Wasser mindestens zwei Meter hoch und umspülte die Füße der Statue von William V. Die Häuser an der Promenade sahen aus, als wären sie ins Meer hineingebaut worden, und die Stühle, Sonnenschirme und Tische der Gaststätte am Strand waren zusammen mit Teilen der Terrasse einfach fortgespült worden. In der Bucht schaukelten umgestürzte Boote, abgerissene Stücke von Tauen und Netzen, und Tausend andere Dinge.
    Die sechs Personen sprachen kein Wort miteinander. Ohne den Blick von der Verwüstung abwenden zu kön nen, konzentrierten sie sich ganz allein darauf weiterzurennen, ohne langsamer zu werden.
    Vorne an der Spitze der kleinen Gruppe befand sich Jason Covenant. Sein Haar war zerzaust, seine Kleidung zerrissen und völlig verdreckt. Doch trotz der Abenteuer und Strapazen der letzten Tage war sein Blick gefasst, und seine Bewegungen verrieten nicht die Müdigkeit, die ihm in den Knochen steckte.
    Hinter ihm lief Anita
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