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Ulysses Moore – Die Stadt im Eis

Ulysses Moore – Die Stadt im Eis

Titel: Ulysses Moore – Die Stadt im Eis
Autoren: Pierdomenico Baccalario
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Kapitel 1
Der Schiffbrüchige
    Es war überall nur Wasser zu sehen, so weit das Auge reichte. Eine endlose bleigraue Fläche. Aber sie war nicht glatt: Unendlich viele Wellen hoben und senkten sich unendlich oft, hoben und senkten sich, hoben und senk ten sich …
    Eine plötzliche Bewegung unterbrach diese Eintönig keit. Etwas Weißes. Eine Möwe mit ausgebreiteten Flü geln. Ein krächzender, schriller Schrei. Dann ein Plat schen: Die Möwe war ins Wasser getaucht, um sich einen Fisch zu schnappen.
    Der graue Himmel war jedoch noch viel eintöniger als das Meer. Die dicke Wolkendecke filterte das Licht der Sonne wie ein Vorhang.
    Tommaso Ranieri Strambi brauchte eine Weile, um zu begreifen, dass er diese Landschaft nicht in einem Film sah, sondern dass sie real war. Und dass er mittendrin steckte. Besser gesagt, er schwamm in dem dunklen, eis kalten Wasser.
    In den Wellen, die sich mit ihm hoben und senkten.
    Wieder hörte er das schrille Krächzen. Dieses Mal war es weiter entfernt. Er sah die Möwe wieder auffliegen, mit einem zappelnden Fisch im Schnabel. Und auf einmal war alles noch viel echter als vorhin, denn eine Welle über spülte ihn und er geriet mit dem Kopf unter Wasser.
    An die Stelle des Himmels war eine flüssige, dunkle Masse getreten. Es wurde für Tommaso immer mühsa mer, gegen das Gewicht der mit Wasser vollgesogenen Kleidung anzukämpfen, das ihn in die Tiefe zog.
    Er hob den Kopf und sah über sich viele kleine Inseln, die an der Meeresoberfläche schwammen. Er kniff die Augen zusammen und erkannte schwimmende Bücher. Einen Koffer. Einen Schaukelstuhl. Ein Tischchen. Er merkte, dass die Gegenstände kleiner wurden, je tiefer er sank.
    Wenige Meter von ihm entfernt blitzten kurz die silb rigen Schuppen eines Fischs auf, der sofort wieder in der Tiefe verschwand. Aber war es wirklich ein Fisch gewe sen? War es dafür nicht viel zu groß? Eigentlich hatte es mehr wie ein Klavier ausgesehen, ein großer Flügel. Ein Konzertflügel? Doch hier, im Meer?
    Als wäre plötzlich ein Schalter angeknipst worden, brachen Tommasos Erinnerungen über ihn herein. Die Welle, die in Kalypsos Buchladen über ihm zusammengestürzt war. Eine Flut, die ihn mit sich gerissen hatte. Einen Augenblick zuvor hatte Tommaso noch versucht, die Flints davon abzubringen, eine Tür mit dem Schlüssel, der einen Griff in Form eines Wals hatte, zu öffnen. Es war vergeblich gewesen.
    Er zwang sich dazu, die Arme zu bewegen. Gleichzeitig holte er mit Beinen und Rücken Schwung und fand sich einen halben Meter weiter oben wieder. Einen Augenblick lang hörten die Gegenstände, die über seinem Kopf an der Oberfläche trieben, zu schrumpfen auf.
    Tommaso wiederholte den Bewegungsablauf. Erst einmal und dann immer häufiger und kräftiger. Er verspürte den Drang, seine Lunge mit Luft zu füllen.
    Während er zur Oberfläche schwamm, fiel ihm wieder ein, wie ihn das Wasser in die Höhe gehoben hatte und er durch die Luft gewirbelt worden war. Er erinnerte sich an ein Durcheinander von Armen und Beinen und daran, dass es nicht nur seine eigenen gewesen waren. Auch die drei Flint-Cousins waren in den Strudel geraten. Genauso wie das Mädchen, das Kalypso im Laden vertrat. Wie hatte sie geheißen? In Ulysses Moores Büchern hatte er ihren Namen nie gelesen.
    Inzwischen konnte er schon die Sonnenstrahlen sehen, spürte aber noch nicht ihre Wärme. Seine Lunge brannte und seine Augen taten ihm weh.
    Wie war er bloß ins offene Meer geraten?
    So genau konnte er sich nicht mehr daran erinnern, aber er nahm an, dass ihn die mächtige Welle gemeinsam mit den Dingen, die jetzt über ihm im Wasser trieben, hinaus in die Straßen von Kilmore Cove gespült haben musste. Er erkannte die Tischchen der Gaststätte am Strand wieder und auch deren Stühle und Sonnenschirme. Zwischen ihnen schwammen auch noch ganz andere Dinge herum: Schirme, eine Melone, zwei Nachtschränkchen, eine Lampe, Decken und Teile von Möbeln.
    Mit einem Schrei durchbrach Tommaso die Wasseroberfläche. Er riss den Mund auf und sog gierig die Luft ein. Als er wieder zu Kräften gekommen war, ließ er sich mit ausgebreiteten Armen und Beinen auf dem Rücken treiben. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er tatsächlich noch lebte, und er bekam einen Lachanfall.
    Er sah sich um und konnte ringsherum nur das Meer sehen. Nirgendwo war eine Küstenlinie oder ein Schiff zu erkennen. Nur Wasser, wohin er auch schaute. Doch in wenigen Metern Entfernung schwamm ein großer
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