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Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen
Autoren: Tilman Röhrig
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Hände befehle ich meinen Geist.«
    »Verzeih mir.« Mühsam hob er den Kopf nach vorn, blickte sie an.
    »Ich werde es lernen.«
    Er schloss die Augen, die blutenden Lippen bewegten sich.
    »Emmanuel, Johann«, flüsterte Wendel, wandte sich rasch ab, eilte an Kerkerknechten vorbei, hastete Stufen hinauf, sie stemmte sich gegen die Tür, stürzte in den Gang und rang nach Atem.
    Voll lüsterner Gier empfingen sie die Bürgersfrauen. »Hast du ihn gesehen? So groß ist er wirklich nicht.«
    In Wendel schrie die Not gegen den Geifer der Weiber. Mit beiden Händen hielt sie ihr Herz, stammelte endlich: »Mir ist elend.«
    Hilfsbereit stützten sie die keuchende Frau. »Das arme Ding hat sich so erschreckt«, führten Wendel aus der Residenz, setzten sie am Wassergraben behutsam auf einen Stein.
    »Danke.« Wendel verbarg ihren Kopf in den Armen. Geht weg, flehte sie.
    »Ein bisschen Luft und du fühlst dich besser, Wagnerin«, mitfühlend tätschelte ihr die Frau des Kanzleiboten die Schulter. »So unschuldig. Du bist das Leben am Hof nicht gewöhnt.«
    »Ihr habt Recht«, tiefe Verachtung lag in Wendels Stimme, »das alles will ich nicht begreifen.«
    Noch wohlmeinende Worte, und endlich stolzierten sie davon, schwatzten angeregt über das morgige große Fest. »Mein Mann hat es in der Kanzlei gehört, Krämerin. Der Scharfrichter von Köln, er selbst wird das Feuer anzünden.«
    Kopf an Kopf wogte das Volk, Rufe, Hände, buntbestickte Kugelhauben fuhren zusammen, trennten sich, Juchzer, in allen Gesichtern glimmte das gleiche Licht.
    Nicht Münster, nicht der Domplatz, verwirrt wischte Wendel über die Augen. Sie stand mit den Kindern am Rand, hinter den Gaffern. Weit vom, im Angesicht der Residenz des Erzbischofs, vor dem Wassergraben ragte der Scheiterhaufen. »Es ist Holz«, flüsterte sie und sah doch zerbrochene Statuen, Bilderlappen, Altäre, geköpfte Heilige.
    Hart schlug die Glocke!
    Nur Wendel schrak zusammen. Freudige Erwartung stieg, die Blicke gierten in eine Richtung.
    Wendel beugte sich zu den Mädchen, entschlossen stellte sie Irmel zwischen die Schwestern. »Ihr dreht euch nicht um.« Sie legte die Arme um die Köpfe und drückte die Gesichter der Töchter an ihre Brust.
    »Da schleppen sie den Teufel!«
    Jubel brach aus den Kehlen, verebbte.
    Schultern und Hüte versperrten den Blick. Wendel reckte sich nicht. Ihre Augen warteten am Scheiterhaufen, umklammerten den Pfahl in der Mitte.
    Johanns Stimme! Nur Fetzen schwangen herüber. Tonlos fügte Wendel seine Worte, sie kannte die Sätze.
    An den Armen zerrten zwei Henkersknechte den Wiedertäufer auf den Holzstoß, stützten ihn.
    Aus der Tiefe folgte das Rot, wuchs über die Menge, stach Wendel in die Augen. Der Henker zeigte sich dem Volk, und Christoff Heftrich war ein starker Mann. Grob packte der Scharfrichter Johanns Haar, schlug den Kopf zurück, kettete den Hals an den Pfahl, umwickelte die kraftlose Gestalt mit Stricken. Aufrecht sollte der Teufel übergeben werden.
    »Ist dieser Mann nach Fug und Recht verdammt?«
    An den Rändern des Scheiterhaufens züngelten Flammen, loderten hoch, das Volk schwieg, näher fraß das Feuer zur Mitte, die Gaffer hielten den Atem an.
    »Vater, in Deine Hände befehle ich meinen Geist!«
    Wendel löste die Umarmung, gab die Köpfe der Mädchen frei, griff nach der Reisetasche. »Kommt.« Gemeinsam verließen sie rasch den Platz.
    Hinter dem Kölntor fragte Irmel: »Muss ich weit laufen?«
    »Nicht weit. Nach Hause, Kind.« Wendel nickte. »Wir schließen die Werkstatt auf.«
    Ein heller Wagen überholte sie, rollte aus, neben den Mädchen wurde das Pferd angehalten.
    »Steigt ein.« Mit beiden Händen griff der Mann nach ihrer Reisetasche, stellte sie zwischen Messscheiben, Ruten, Winkel, Zirkel und Papierrollen. »Ich zeichne Pläne von Städten, messe die Wege aus«, entschuldigte er sich für das Durcheinander auf der Ladefläche. »Wo wollt ihr hin?«
    Wendel stieg zu ihm und den Kindern, sank erschöpft gegen die Lehne der Kutschbank. »Wir wohnen in Büderich.«
    »Dann haben wir noch ein gutes Stück dieselbe Richtung.«
    Leicht wog er die Zügel in der Hand, sah Wendel nicht an. »Du warst im Neuen Jerusalem?«
    Eine Faust klammerte sich um ihr Herz. »Wo?« Sie rang nach Luft.
    Er schnalzte, ließ das Leder sacht über die Kruppe schlagen, der Wagen rollte weiter.
    »Nur wer sich verläuft, findet es.«

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