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Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen
Autoren: Tilman Röhrig
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ohne die Füße zu bewegen, bis zum äußersten Punkt, dann gab er die Kraft frei, waagerecht zerschnitt er die Luft, den Schwung der Pirouette fing er mit einem Schritt zur Seite auf, wie es Tänzern gelingt.
    »Zack«, und noch leiser: »Das bin ich.«
    Sofort verstummten die Bettler, als wäre ihnen der Schnitt durch die Mäuler gefahren.
    Und als wäre der Schnitt ein Signal gewesen. Aus dem Dunst der Torbögen und Straßenlöcher kamen Menschen, unten aus der Gasse neben der Hacht, dem Gefängnis, vom Hafen und von Norden aus der Schmier, dieser langen Straße der Bettler, Wirtshäuser, Kramhändler und Studenten, aus den Ecken und Winkeln des Doms, als hätten sie dort auf das Zeichen gewartet, auch aus den Straßen der feineren Häuser kamen sie in Scharen gelaufen, von überall her.
    Der Nebel hatte den Domhof freigegeben. Fest vermummt in Mänteln oder Jacken näherten sich die Bürger dem riesigen Holzstoß. Ihre Stimmen blieben halblaut, wenn ein Kind lachte, dämpfte die Hand der Mutter den Lärm, fügte ihn in das gleichmäßige Raunen. Dichter rückte das Volk um den Scheiterhaufen.
    Christoff stellte sich vor den Feuertopf, niemand durfte ihn umstoßen, später sollte die Flamme das Holz entzünden.
    Durch die Menge bahnten sich Büttel und Gewaltdiener einen Weg, blieben keuchend vor dem Henker stehen.
    »Bis ihr zu euerm eigenen Begräbnis zu spät kommt!«, fauchte Heftrich. »Bald muss es neun Uhr sein. An die Arbeit, schafft Platz!«
    Grob drängten die Gewaltdiener gegen die Wartenden. Ihre zweigespitzten, zweifarbigen Hüte gaben ihnen Respekt, mit den Fäusten halfen sie nach. Schnell wichen die Gaffer zurück, ein weiter Kreis entstand, ihn spalteten die Lanzenschäfte und öffneten eine breite Gasse bis zur Tribüne hin. Der Blick war frei.
    Christoff lächelte. Federhüte, fremde Farben, galante Waffen an den Gürteln, Hände ruhten auf schräg gestellten Stöckchen, neben der Holztreppe warteten feine fremde Herren.
    Meine Gäste. Noch vor zwei Wochen waren sie in Aachen gewesen. Unser hoher Herr selbst hatte dem Kaiser die Königskrone aufgesetzt. Hoch lebe unser Erzbischof Hermann! Nach der Krönung war der Kaiser mit seinem Gefolge in Köln eingezogen. Jetzt sind sie zu mir gekommen, nicht der Kaiser, auch nicht unser Erzbischof, aber die vornehmen Hofherren, sie sind gekommen. Sie werden mich sehen, und sie werden dem Kaiser von mir erzählen. »Schad, dass ich meinen guten Schlag nicht zeigen kann.«
    Von allen Türmen her setzte Läuten ein, Glockensturm, und Köln wurde von vielen Kirchen beherrscht.
    Dem Zug vorweg trabten zwei Reiter auf den Domhof, Stadtsoldaten, Blashörner in den Händen. Mit gewichtigen Schritten erschienen die Vornehmen der Universität, alle nach ihrer Würde gekleidet, gefolgt von den Männern des Domkapitels mit wichtigen Mienen und den Ratsgesichtern der Stadt, zum Schluss die Studenten, alle unter ihren dunklen Kapuzen. Nur der Inquisitor Jakob von Hochstraten und der Kanzler der Universität, nur die Würdigsten von Kirche und Stadt stiegen auf die Tribüne, im Spalier ordneten sich unten die Dekane und Professoren, den freien Raum bis zur Volksmenge füllten die Studenten.
    »Das war noch nie!« Aufgerichtet stand der Henker neben seinem Holzstoß, stemmte eine Hand in die Seite, stand da. Davon hatte er geträumt, von einer Hinrichtung im Angesicht aller Herrschaften. Mit einem Seitenblick prüfte er den Feuertopf. Ruhig flackerte die Flamme, daneben lag seine Pechfackel. »Wird nicht zu feucht sein«, beruhigte er sich.
    Der Nebel war gestiegen, bis zu den Häusergiebeln hatte sich der Vorhang gehoben, sein loser Saum verhüllte noch die stumpfen Türme des Doms, hing dicht über dem Portal, diesem aufgesperrten Fischmaul, oben kleine gezackte Baldachine über den Aposteln, Heiligenzähne, und unten der Schlund.
    Die Glocken verstummten.
    Zwei Studenten schleppten einen Korb heran und stellten ihn, für alle sichtbar, vor die Tribüne.
    Angestrengt kniff Heftrich die Augen zusammen. »Bis ich das begreife!« Er wollte spucken, besann sich, doch seine Zunge war schon halb auf dem Weg, und Speichel rann ihm über das Kinn, den Hals hinunter.
    Der Beauftragte des Erzbischofs hob beide Hände, nicht um das Volk zu segnen, nur, bis die Menge schwieg. »Der Heilige Vater in Rom hat seinen Bann geschleudert!« Schweigen, bis der Satz in die Menschen eingedrungen war. »Die heilige Kirche gegen Martin Luther. Dieser Ketzer, Aufrührer. Thesen des Teufels.
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