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Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen
Autoren: Tilman Röhrig
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N ovembernebel, vermischt mit dem Gestank des Hafens, ein schwacher Südost trieb die schweren Schwaden, vollgesogen mit fauligem Fischgeruch, bis zum Domplatz hinauf.
    Der Holzstoß, größer als sonst, kein Pfahl in der Mitte, nichts war wie sonst. Nur die Tribüne war fest gezimmert, hoch und breit wie immer, doch sie stand am falschen Platz. Entweder an den Heumarkt, besser noch auf Melaten vor der Stadt, dorthin gehörte sie an solch einem Tag, und nicht direkt vor das Angesicht des Kölner Doms.
    »Bis ich das begreife!« Christoff Heftrich spuckte in den Scheiterhaufen. Früh war es noch, gerade grau, mit Nebel begann der Novembermorgen noch später als sonst. Zwei Schritte, sein rechter Stiefel traf einen Bettler in den Leib. Der Alte krümmte sich auf dem Boden, kroch erst und schlich zu der lauernden Gruppe zurück.
    »Bis ich einen von euch hier brate mit einem Stock im Arsch wie eine Sau!«
    Als Antwort feixten die Bettler, drohten mit ihren Knüppeln. Ein Holzscheit von diesem Stoß! Die Nächte waren wieder klamm bis in die Lumpen, wurden kälter. Holz vom Stoß, das müsste heizen, Höllenglut im Ofen! Das zu stehlen war eine Mutprobe, fast ein Spiel mit dem Bösen. Nie war es gelungen, bis heute nicht, vielleicht schon beim nächsten Versuch.
    »Nicht bei mir!« Christoff Heftrich zeigte ihnen die Fäuste.
    »Blutschinder! Hanss! Hanss!«, schrien sie.
    Ihr Spott hetzte seinen Atem, er bleckte die Zähne und biss sich auf die Knöchel. Die Lücke links neben den großen Zähnen machte aus seinem Gesicht bei jedem Wutgrinsen, auch jedem Lachen, eine Fratze. Durch diese Lücke spuckte er über die kleine Flamme des Feuertopfs zu den Bettlern hin. Kein Speichelgeschoss, die Zunge trieb einen langen Strahl, und stets führte sein Mund viel Wasser.
    Unter dem braunen Mantelumhang trug er das ärmellose Wams aus weißem Schafspelz, sein Winterfell, darunter Rot, vom Halsrand bis zu den Handgelenken, bis zur Hüfte, eng, nach unten im gleichen Rot die Hose, eng bis in die Stiefel.
    Heute sollte es nicht so heiß werden, nicht durchs Feuer und nicht von innen her. »Was soll ein Scheiterhaufen, wenn kein Mensch verbrannt wird? Bis ich das begreife!« Er solle den Haufen schichten, langes Holz und viel Stroh. Gut brennen solle es, mehr war ihm vom Greven nicht gesagt worden.
    Vorsorglich hatte Christoff Heftrich seinen Huren verboten, ihn heute bei der Arbeit zu beobachten, selbst denen, die im letzten Monat nicht gezahlt hatten.
    Sonst war es schon nützlich, den Weibern die Kraft zu zeigen. Nicht nur mit Feuer oder dem schnellen Würgegriff. Das Schwert schlägt den Kopf ab. Das macht Eindruck, wenn das Blut aus dem Rumpf schießt, der Kopf auf die Stange gespießt wird wie beim Fest des heiligen Martin eine ausgehöhlte Rübe. Das machte die Weiber still und gehorsam. Die schönste Lust pulst erst, wenn Angst das Fleisch willig macht. Seine Weiber! Schließlich war er der Henker von Köln, schließlich war er der Beschützer der Huren.
    Die rechte Hand glitt in den Umhang, tastete unter das Schafsfell, mit den Fingerkuppen rieb er den roten Stoff über dem Zeichen, seinem Mal. Ein Blutschwamm, der neben dem Herzen begann und zwei Handteller breit bis unter die Achseln wucherte. Das Mal des Satans. Er, der Henker von Köln, war gezeichnet. Niemand durfte es sehen, dafür sorgte er. Niemand, außer seiner Lisbeth, doch die war stumm.
    Heftrich zog die Hand zurück und fuhr sich über die Lippen, dicke wulstige, nicht rote, eher wie geronnen, manchmal mehr blau. Seine Nase spreizte sich breitflügelig unter den Augen, die weiß und geädert bis zu den schwarzen Punkten wie nachträglich angebracht schienen, an den Lidern verklebte Wimpern, und hätte er die rote Kappe abgezogen, wäre die Kopfhaut unbedeckt, nur Haut. Schön war er nicht.
    An den Henker denkt man, schaut ihm aber nicht ins Gesicht. Die Dirnen konnte er zwingen, ihn anzusehen, das bereitete ihm Lust, und für die Verurteilten, nach der Folter, auf dem Weg zur Hinrichtung, war er längst kein menschliches Wesen mehr. Er führte die Hand Gottes, und den Gepeinigten war er der Schreck vor dem Schrecken.
    Immer noch keiften die Bettler, wagten sich näher, sprangen zurück und bellten ihn an. Christoff ließ die gespreizte Hand wie ein Hackmesser niedersausen. »Zack!«, flüsterte er. Weit streckte er beide Arme aus, schloss Hand um Hand, führte sie langsam zurück an der rechten Schulter vorbei, drehte den Oberkörper, dehnte sich nach rechts,
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