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Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen
Autoren: Tilman Röhrig
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des Bischofs herumgeirrt.« So passte sie genau in das Denken der feinen Bürger, erst Pfaffenhure, dann Trossweib! Sie wehrte sich nicht, ertrug den Spott und schwieg.
    Fest griff Wendel den Arm der Freundin. »Welch ein Trost, dass du hier auf mich gewartet hast. Ich durfte zu einem Menschen zurückkommen.«
    »Das war mein Glück, Kleines.«
    Wendel legte sich ins Gras, breitete die Arme weit unter dem Himmel und schloss die Augen.
    Sie lächelte in das Bild: Knirschend schob sich die Fähre auf das Weseler Ufer. Übermüdet von der langen Flucht aus der Hölle taumelte sie mit ihren Töchtern zur Anlegestelle hinunter.
    Die mürrischen Augen, das unveränderliche Gesicht. Reinhold befahl Krämern und Marktfrauen zu warten.
    »Ich hol euch bei der nächsten Fahrt.«
    Die Empörung prallte an ihm ab. »Nur die Frau und die Kinder.«
    »Ich bin zurück, Reinhold.«
    »Ist gut, Mädchen.«
    »Ich zahle die Fahrt später.«
    »Diese nicht, Mädchen!« Ärgerlich wischte er den Handrücken über seine Augen, befahl die Ruderknechte auf ihren Platz und löste das Tau.
    Wendel sank auf die Holzplanken und legte sich zurück. Müde hockten sich die Kinder um ihre Mutter. Zaghaft, dann schneller nahm der Rhein die Ponte mit in die Strömung.
    Viel zu spät. »Dass mir keiner …« Reinhold brach ab, brummelte: »Du pfeifst nicht, das weiß ich.«
    Wendel gab sich dem Sog hin. Das Pendel schlug zurück. Erst am Ufer öffnete sie die Augen.
    Geheul trieb den Wettlauf der Mädchen, bis zum Rand waren die Becher gefüllt, Magdalene und Lisabeth schenkten der kleinen Schwester den Sieg. Stolz zeigte Irmel ihre Beute und schüttete sie mit Schwung in die Kanne, krähte aus voller Kehle: »Hosianna!«
    Die Spitze der Hellebarde! Wendel krümmte sich. »Nie mehr.« Sie keuchte, sprang hoch und stürzte zu ihrer Tochter, schüttelte sie. »Nein! Hörst du? Nein!«
    Erschreckte Augen, gekränkt brüllte Irmel los. »Du tust mir weh!«
    »Sag das Wort nie mehr! Hast du mich verstanden?«
    Atemlos stieß Wendel das Kind zur Seite und stürmte in die Wiese hinaus, lief weiter, bis das Herz ruhiger wurde. Befreie mich, flehte sie, nimm mir die Angst!
    Sie wandte sich um. Vor der Milchkanne hatte Greet die Mädchen um sich geschart, zeigte zu Wendel hinüber, erklärte. Mit einem Mal winkten die Töchter ihrer Mutter, lockten sie mit den Händen.
    Das Lächeln besiegte den Schreck und half ihr zu gehen. Wendel wählte in den Gräsern, brach einen langen Halm dicht über der Wurzel ab.
    »Komm her, Irmel«, sie strich über das Haar, zog an dem Zopf. »Du bist meine Beste.«
    Mit dem Halm befahl sie die Töchter in eine Reihe. »Auf den Boden! Augen fest zu und wartet.«
    Voll Neugierde gehorchten sie, legten die Köpfe dicht nebeneinander.
    »Wehe, wenn auch nur ein Auge zwinkert.«
    Stumm deutete sie zur Milchkanne, Greet verstand und schmunzelte, gemeinsam fädelten die Frauen Brombeeren und Himbeeren auf den Halm, hell und dunkel, wie eine köstliche Kette, und knieten sich zu den Kindern, spannten den Halm über den Mündern. »Langsam die Augen auf.«
    Die drei grinsten, jede hatte geblinzelt, wusste, was über dem Mund wartete.
    »Nicht die Hände, nur mit den Lippen.«
    Voll Gier schnappten sie nach den köstlichen Perlen. Irmel und Lisabeth futterten zur Mitte, Magdalene aß nach beiden Seiten, kämpfte links mit der kleinen, rechts mit der großen Schwester um die letzte Beere, übrig blieben schmatzende Küsse.
    Noch zweimal musste das Spiel wiederholt werden.
    Weiter vorn hüpften die Reifen dem Feldtor entgegen. Nur der Boden der Milchkanne war mit Beeren bedeckt.
    »Wir könnten wieder zur Bibelstunde einladen«, schlug Greet vor, »unsre Schwestern haben keine Angst mehr. Die lutherische Sache steht gut. In Wesel wird jetzt auch evangelisch gepredigt. Schließ die Werkstatt auf, Wendel!«
    »Noch nicht. Ich brauche Zeit.«
    »Du denkst oft an ihn, Kleines?« Die Stimme klang gepresst. Die große Frau konnte nicht weitergehen. Ihr Gesicht war bleich geworden.
    »Es ist nicht Liebe.«
    Lange schwiegen sie.
    »Wenn er frei wäre? In Münster habe ich nur den Prädikanten gesehen. Neben Gott will er herrschen. Das Wort benutzen sie allein für ihre Macht. Ihr Gesetz will Unterdrückung, furchtbare Ordnung. Ach, Greet, kann denn ein Mensch …?« Wendel brach ab, wusste das Ende der Frage nicht.
    »Meinst du, Kindchen, er glaubt wirklich an das Reich der Tausend Jahre, dass er ein Auserwählter ist?«
    Bekümmert hob Wendel die
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