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Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen
Autoren: Tilman Röhrig
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»Wenn er um sein Leben winselt, verlange, dass er mir gegenübertritt, um sich zu verteidigen. Heute noch. Nicht vor dem Volk, denn dann hat er sein Leben gleich verwirkt, und der Scharfrichter schlägt ihm den Kopf von den Schultern.«
    Noch ist Johann bereit, schnell fuhr Wendel fort: »Während der Prophet die Menge auf dem Domplatz versammelt, soll er selbst die Mittagswache am Geheimgang seines Mauerabschnittes übernehmen. Sag dem Kerl, wenn er mich umstimmt, könntest du ihm vielleicht die Schuld vergeben.« Wendel hielt den Atem an.
    Dankbar blickte Johann ihr in die Augen. »Ich begehe keinen Verrat.«
    »Niemand wird an dir zweifeln«, stärkte sie ihn.
    »Meinst du, dass Lisabeth gehen kann?«
    Wendel hob die Schultern. »Die Wundheilerin weiß, dass ich sie nach Hause hole. Ich bin Lisels Mutter, und ich trage meine Kinder bis ans Ende der Welt.« Ruhig zeigte sie ihm das Messer. »Geh, Johann. Wenn der Mann nicht dort wartet, helfe ich meinen Töchtern selbst und beschütze sie vor deinem Reich.«
    Die Kanone rief zur Predigt. Sofort unterbrachen die Auserwählten ihre Arbeit, lachend und schwatzend strebten sie dem Domplatz zu. Nur die Notwache blieb an den Toren und hütete die Stadt Zion.
    Der Hauptmann bemerkte Wendel und die Mädchen, stürzte ihnen entgegen, rang die Hände. »Warum hast du …?«
    Wendel stieß ihn zurück. »Du Hurenbock!«
    Ratlos strich er das behaarte Wangenauge, folgte der Frau des Prädikanten, die, ohne zu warten, weiterging. Erst vor dem Einstieg drehte sie sich um. »Ich werde dich anklagen! Es herausschreien, wie gemein du die heilige Ehe schänden und die ehernen Gesetze des Propheten besudeln wolltest.«
    »Nichts habe ich …«
    »Du lügst. Gestern noch hast du mir aufgelauert.«
    »Nein!« Fahrig griff der Hauptmann an seinen Hals, dann verstand er. »Weil du es willst«, seine Stimme bebte.
    Erbarmungslos zeigte ihm Wendel die Macht. »Ich kennen deine Richter gut, mein Wort genügt, und sie werden dir den Kopf abschneiden.«
    Sie sah zu, wie er sich wand, verzweifelt nach Rettung suchte. »Sei barmherzig. Du kannst mich nicht einfach dem Scharfrichter ausliefern.«
    Wendel winkte ihn näher, atmete, ohne ihn aus dem Blick zu lassen. Meine Angst kennst du nicht. Selbst wenn du dich weigerst, ich könnte dich nicht ausliefern. Es geht nicht um deinen Kopf, du sollst uns das Leben schenken.
    Verächtlich tippte sie ihm gegen die Brust. »Eine Möglichkeit.«
    »Sag. Hilf mir. Sag doch.« Die Lippen zitterten.
    »Geh zur Torwache, bleib dort und sprich mit den Männern. Lass dir Zeit, bis der Prophet gesprochen hat. Sieh dich nicht um. Wenn du zurückkommst, sind wir verschwunden. Erst am Abend wird man unsere Flucht bemerken.«
    Neues Entsetzen riss seinen Mund auf. Wendel verbot ihm das Wort. »Denke nach! Solange ich hier bin, wartet das Schwert auf dich. Du wirst jetzt und ewig schweigen müssen.«
    Kein langer Kampf, er war bereit, sein Leben gegen Wendel und die Kinder einzutauschen, fasste die Hellebarde, wandte sich um und ging mit schweren Schritten an der Mauer entlang in die Richtung des Bispinktores, durch das er die Frau des Prädikanten vor mehr als vier Monaten hereingeführt hatte.
    »Lisabeth«, flüsterte Wendel.
    Die Große nahm Irmel an der Hand, zog sie hinter sich her in die Maueröffnung, Magdalene huschte den Schwestern nach, Wendel wartete, bis ihre Kinder in dem dunklen Gang verschwunden waren, dann folgte sie gebückt. Am Ende des ersten Stollens das Wasser, der Fußsteg.
    Peinige ihn mit Angst, lass ihn die Wachen ablenken!
    »Auf den Spitzen und schnell. Lauft gleich weiter.«
    Hintereinander huschten die Mädchen über die schmale Brücke, tauchten in den zweiten Gang. Wendel hastete ihnen nach. Hinter ihr gab niemand Alarm. Der Stollen war dunkel. »Nicht stehen bleiben«, raunte sie, »tastet euch an den Stützen entlang. Wartet vor dem Wasser.«
    Auf der anderen Seite des äußeren Grabens endete der Holzsteg in einer Aushöhlung. Mit dem Blick stieg Wendel die Böschung hoch. Über dem Rand begann das Blau des Himmels. Ohne die Augen zu schließen, sah sie das gerodete Feld.
    Sie strich jeder Tochter ein Kreuz auf die Stirn. Emmanuel. Hab Erbarmen!
    »Sobald ihr drüben seid, helft ihr Irmel auf die Böschung. Nehmt sie in die Mitte und lauft. Egal ob geschossen wird. Rennt in die Büsche hinein. Bleibt nicht stehen, lauft weiter. Ich hole euch ein.«
    Lisabeth. Irmel. Magdalene. Unentdeckt hatten sie schon den Graben überquert. Auf
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