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Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen
Autoren: Tilman Röhrig
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den Kopf. »In nur sieben Tagen habe ich ihn errungen«, und strich das wilde Haar aus der Stirn. Nie gekannte Macht! Wieder und wieder trank Johann von dem heißen Glück. Er und nur vier ihm unterstellte Apostel hatten diese Stadt bekehrt. »Sie gehört Gott, dem König und mir, uns dreien!«
    Weit öffnete er dem Morgen des achten Tages das Fenster und trat zurück ins Zimmer. Seine Fingerspitzen betupften die offenen Wunden um Nase und Mund. Ja, der Geist war aus ihm herausgebrochen, »Bekehrt euch! Buße! Buße!«, seine gewaltige Kraft hatte die Narben aufgerissen.
    Über den Dächern stieg die Sonne, durchflutete das Zimmer, weckte die Sehnsucht. Johann streckte ihr die Hand entgegen. »So werde ich vor dir stehen, Wendel. In diesem Licht! Du wirst alle Zweifel abwerfen, und ich werde euch nach Hause in das Reich Zion holen.« Er sank auf die Knie, legte die Hände zusammen, wiegte den Körper vor und zurück, ließ die Bilder der vergangenen sieben Tage neu erstehen.
    Geklirr, Befehle, Schreie, der Lärm brüllte.
    Verwirrt schreckte Johann hoch, hastete zum Fenster. Söldner! Unter ihm flohen die Bürger in ihre Häuser, wurden mit blanken Waffen über den Markt gehetzt. Landsknechte postierten sich drüben vor dem Rathaus, bezogen Stellung an jeder Gassenecke. Kartaunen, Feldschlangen, mehr und mehr Kanonen wurden auf den Platz gerollt. Die Truppen des Bischofs hatten die Stadt besetzt.
    Die Gefahr erreichte Johann nicht, über ihm erstrahlte der neue Himmel. Er rieb die Faustknöchel gegeneinander. Das Licht bleibt mir und hebt mich auf seine Flügel. Warum soll ich mich fürchten? Hinter ihm zersplitterte die Tür. Ratsherren, Bewaffnete stürmten in den Raum. »Das ist er! Packt den Teufel!«
    Erstaunt blickte Johann in die hassverzerrten Gesichter. »Ich stehe unter Seinem Schutz. Nicht ein Haar könnt ihr mir krümmen.«
    Lachend schlug ihm einer der Söldner die Hand auf den Kopf, riss mit roher Kraft, zeigte dem Kumpan Haar und Hautfetzen und presste Johann das Büschel gegen die Lippen. »Halt’s Maul, Wiedertäufer. Sonst musst du dich selbst fressen.«
    Der heftige Schmerz zerbrach das Licht, rief Johann in seine Wirklichkeit. »Ich bin heilig!«
    Tief stieß ihm der Landsknecht das Haar in den Rachen. Johann würgte, schluckte, um nicht zu ersticken.
    »Hurenbock! Teufel!«, spien die Ratsherren und legten ihm selbst das Halseisen an.
    Sie sind verblendet, dachte Johann, gestern noch haben ihre Freunde meiner Predigt gelauscht, der Rat dieser Stadt gehört mir, gierig hat er von der Lehre des Neuen Reichs getrunken.
    Mit dem Messerknauf schlug der Söldner den Dorn in das Eisenband.
    Johann erschrak, wusste die Wahrheit, wie sie Johannes offenbart hatte. Vom Grund des Meeres ist der Drache wieder ans Land gestiegen! Lamm Gottes, hilf Deinem Diener. Draußen in den Straßen lauert der siebenköpfige Satan!
    An einer langen Kette zerrten sie den Wiedertäufer die Stiegen hinunter, trieben Johann auf den Markt. Alle Geschützrohre waren zum Himmel gerichtet. Gleichzeitig senkten Büchsenmeister die Luntenspieße. Aus zehn Schlündern fuhren Blitze, der Donner zerriss den Tag, die Türen der Häuser barsten, die Scheiben der Fenster platzten.
    In Johann zerfiel der Regenbogen, das Licht stürzte und verlosch. Mein König, Herrscher über den Erdball, komm mir zu Hilfe! Johann schmeckte das Blut seiner Lippen, tonlos schickte er Schreie hinüber zum Herzen des Neuen Jerusalem: »Ich vertraue deinem heiligen Schwur. Wenn sie nicht auf das Wort hören wollen, wenn sie mich verachten, dann willst du mich aus der Schmach retten und die Peiniger mit deinem Schwert ausrotten.«
    Quer durch den Saal des Rathauses zerrten und stießen die Söldner ihren Gefangenen, richteten ihn vor dem Bischof auf. Nur flüchtig sah Johann neben sich die vier geketteten Apostel, sein Blick wurde gebannt vom Antlitz des gehassten, so tausendmal verdammten Feindes.
    Gedunsene Wangen quollen aus dem Bart, breit standen seine Augen, dieses grinsende Maul, du bist der Sohn des Drachen.
    Kämpfe, befahl ihm die Stimme seines Königs, verliere nicht den Mut, bald werde ich dich mit Feuer und Schwefel aus den Klauen der Gottlosen befreien.
    Der Puls trieb neue Kraft. Johann nickte den Aposteln zu. »Meine Brüder, verzagt nicht! Folgt meinem Beispiel.« Damit streifte er den seidenen Umhang ab und warf ihn dem Bischof zu Füßen. Mit großer Geste zerriss er die geschmeidige Kette, zeigte das Zeichen dem Feind, all seinen
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