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Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen
Autoren: Tilman Röhrig
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auf den Bauch, bohrten durch die Hose, trieben einen Trichter tief in den After und füllten ihn mit Kloakenwasser.
    »Antworte!«
    »Ich bin Johann Klopreis, der Sohn eines Schneiders.«
    Auf den Rücken geworfen.
    »Antworte!«
    »Nein, ich habe noch nie mit einer Frau geschlafen.«
    »Lügner!« Sie rissen ihm die Hosen auf. Kari grunzte, zog den Penis lang, nahm das Rollholz und quetschte, bis Johann schrie. Alle Folterwerkzeuge nutzten sie, auch die Schrauben. Endlich hielten sie das Rad an.
    Nachher lachten sie, riefen Johann als würdiges Mitglied der Burse aus und betranken sich mit dem Lohn der feierlichen Zeremonie.
    Noch Wochen später war Johann nachts aus dem Schlaf hochgefahren, spürte die Schmerzen wieder, unbarmherzig wachte in ihm die Scham. Erst mit den Erfolgen seines Studiums hatte er endlich diesen Tag zuschütten können, häufte Ordnung und Fleiß und erstickte die Erinnerung.
    Johann schlug mit dem Hinterkopf gegen die Brettertür und lachte. Nur ein einziger Augenblick hatte genügt, um alle Scham, alle Schmerzen wieder auszugraben! Seine Augen füllten sich, quollen über. Er hielt den Kopf weit nach hinten gebeugt, an das Holz gepresst, und dachte den Rinnsalen nach, die an den Schläfen hinunterrollten, von den Ohrmuscheln aufgefangen wurden. Lange saß er so, ließ dem Überfluss seine Zeit, bis die Augen trockneten und brannten.
    Das Jetzt war ein neuer Tag! Das Heute-morgen war nur Tag, der auf das Gestern folgte. Sein Abendrot war in den Flammen des Scheiterhaufens versunken. Das Entdecken des Fremden, die Verfolgung und das Kennenlernen des Mannes gehörten zum neuen Tag, der auch heute begonnen hatte. Mit ihm war die Sicherheit in Johann zerbrochen, und das alte, vergessene Gefühl der Ohnmacht und Demütigung, die Unruhe, sie färbten diesen zweiten Tag.
    Johann griff nach seinen Stiefeln, streifte sie ab, erhob sich, löste den Gürtel und zog die beschmutzte Festkutte über den Kopf. Nur noch bekleidet mit dem wollenen Leibhemd und Beinkleid ging er zum Hocker hinüber und beugte sich über die Schüssel. Tief tauchte er sein Gesicht in das kalte Wasser, bis er Atem holen musste. Er wusch die Hände. »Vor diesen feinen Studenten fürchte ich mich nicht.« Unter Wasser ballte er die Fäuste. »Nie mehr!«, schwor er laut. »Ja, ich bin der Sohn eines Schneiders. Alle wissen es, ich auch. Ihren vollgefressenen und angetrunkenen Hochmut werde ich niederkämpfen.«
    Es schien so leicht, Ohnmacht tauschte er gegen Wut. Dieses Geschäft beflügelte ihn, bis er seine zweite, die Kutte aus grobem Stoff, übergestreift hatte. Wieder überspülte ihn die Angst vor dem neuen Tag. Wie sollte er morgen dem Magister gegenübertreten? Was konnte er ihm erklären? Arnoldus besaß die Macht über den Erfolg seines Studiums. Was nutzte dagegen die Entschlossenheit eines kleinen Studenten? Welche Entschlossenheit? »Ich bekämpfe die Überheblichkeit der Nobiles.« Das war keine Entschuldigung, keine Begründung für Johanns Verhalten, und Arnoldus würde ihn auslachen.
    Auch der Fremde hatte ihn verspottet. »Dummkopf. Nichts weißt du. Die Ordnung ist eine stinkende Kruste. Studenten plappern nur nach und denken nicht.«
    Er hat mich verlacht, weil ich an die gesicherte Ordnung glaube. Woran soll ich denn zweifeln? Er muss es mir sagen. Johann war fest entschlossen, seinen neuen Tag auch bis zum Abend zu erfahren. Aus Vorsicht versprach er: »Ich werde ihm nur zuhören. Morgen sehe ich weiter.«
    *

S eit einer Viertelstunde beobachtete Johann den Eingang des Goldenen Hirschen. Aus dem Schankraum quollen Gebrüll und Trinklieder bis auf die Schmierstraße heraus, Stimmen, die sich gegenseitig übertönten. Unruhig brannten die Kerzen in den beiden Laternen, links und rechts der geöffneten Tür.
    »Mach Platz, sonst! Aus dem Weg, sonst!«
    Hastig sprang Johann zur Seite. Drei Tischlergesellen schwankten vorbei, die Klingen ihrer Beile glänzten an den Gürteln. Angespannt folgte ihnen Johann mit dem Blick, bis sie im Halbdunkel verschwanden. Seine Hand löste sich von dem Griff des Messers, ein kurzer Dolch, mit dem er auch Brot schneiden konnte. Ein Brotmesser war die einzige Waffe, die den Studenten erlaubt war, und Johann hielt sich an diese Vorschrift. Andere aus der Burse trugen am Abend trotz des strengen Verbots scharfe Degen, Schlagketten oder Eisenklötze unter dem Mantel. Ganz ohne Waffe wagte sich niemand in das nächtliche Vergnügen. Zu groß war der Hass der Gesellen und Burschen
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