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Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen
Autoren: Tilman Röhrig
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führte ihn über den dunklen Hof und pochte dreimal kurz an einer Tür. Warten.
    »Wer ist da?«
    »Adolph.«
    Nur einen Spaltbreit wurde geöffnet. Der Fremde schlüpfte hinein und zog Johann hinter sich her. Geruch von frischer Hefe, von Mehl und Teig umfing sie. Wie ein Versprechen auf Geborgenheit, so sehnsüchtig sog Johann den Duft in sich hinein.
    Sie folgten der Silhouette des Mannes, der auf den Lichtschein am Ende des düsteren Flurs zuging.
    »Warte hier«, bestimmte der Fremde und ließ Johann im Eingang der Backstube zurück. Auf hochgebockten Brettern entlang der Wand lagen mehlgezuckerte Teigfladen, Brote für den nächsten Tag. Die Eisentür des großen Backofens stand offen, und Glut tauchte die Stube in ein warmes Licht. Mit dem Rücken zu Johann saßen Männer im Halbkreis vor dem Feuer.
    Fabian, der Bäcker! Er hat uns hereingelassen. Ihn kannte Johann, erinnerte sich plötzlich, dass er ihn auch heute Morgen in der Nähe des Scheiterhaufens gesehen hatte.
    Der Bäcker führte den Fremden in den Halbkreis. »Ich bringe euch den Magister Adolph Clarenbach. Lange war er nicht mehr bei uns. Einige kennen ihn noch als guten Freund.«
    »Gott mit euch. In den vergangenen zwei Jahren war ich oft in Frankreich. Jetzt bin ich auf dem Weg nach Münster, um dort an der Schule von St. Martini meine Stelle als Lehrer anzutreten. Ich wollte an diesem empörenden Tag bei euch sein, wollte alte Freunde Wiedersehen.«
    Die Männer erhoben sich, umringten Clarenbach und begrüßten ihn voller Herzlichkeit.
    »Adolph Clarenbach«, flüsterte Johann und gab dem Fremden, dem Hageren, endlich seinen richtigen Namen.
    »Du kommst an einem schweren Tag, lieber Adolph. Köln hat heute am 12. November ein für alle Mal die Tür zugeschlagen. Im ganzen Erzbistum wird es keine Reformen geben.«
    Wie eine Faust grub sich diese Stimme in Johanns Magen. Arnoldus von Wesel, sein Magister! Mit einem Mal schmeckte Johann die frische Hefe schal auf der Zunge. Ausgeliefert, hämmerte sein Herz.
    »Nicht zugeschlagen!«, rief Clarenbach leidenschaftlich. »Wir dürfen den Mut nicht verlieren. Heute hat der wirkliche Kampf begonnen! Unsere Gegner haben ihr Gesicht gezeigt, mehr ist heute nicht geschehen.« Er brach ab, blickte in die Runde und zeigte zum Eingang. »Bevor wir die Lage besprechen, möchte ich euch einen neuen Freund vorstellen. Ich habe ihn heute, nein, er hat mich gefunden. Komm zu uns, Johann!«
    Seine Augen stierten in die Glut. Der Weg zum Scheiterhaufen. Vor der Eisentür blieb Johann stehen, unfähig, die Männer anzublicken.
    »Was willst du hier?« Scharf zerschnitt die Frage den Raum. Johann antwortete nicht.
    »Was will er hier? Warum bringst du ihn her, Clarenbach? Das ist einer meiner Studenten. Ein fleißiges Schaf! Er kann uns alle in Gefahr bringen!«
    Niemand sagte etwas. Johann spürte, wie hinter ihm die Spannung wuchs.
    »Dreh dich um, mein Freund«, forderte Clarenbach ihn leise auf.
    Nur kurz streifte Johann das versteinerte Gesicht seines Magisters, dann blickte er zu Boden. Warum bin ich nur hier? Müde lieferte er sich aus, alles sollte jetzt geschehen. Nur gleich, nur schnell, wünschte er sich.
    Clarenbach zog das Barett vom Kopf und ließ es auf einen Holzklotz fallen. »Ja, Arnoldus. Das ist dein Schüler. Er hat nichts als Buchstaben von dir gelernt. Heute Morgen hätte er mich um ein Haar dem Inquisitor ausgeliefert. Warum? Weil du schweigst! Warum weckst du deine Studenten nicht auf? Warum schreist du nicht so laut, bis es auch Studenten wie Johann Klopreis in den Ohren gellt. Sag ihnen, dass die Kirche an allen Gliedern verfault ist. Sag ihnen wenigstens, dass wir vor Gott alle gleich sind. Öffne ihnen die Augen. Die Bischöfe, Mönche und Prediger spielen sich als Richter auf, verdammen den einfachen Menschen, drohen mit dem Fegefeuer, und selbst huren sie und stehlen, als gelte für sie nicht das gleiche göttliche Gebot.« Heftig schlug Clarenbach die Fäuste gegeneinander.
    »Adolph, du willst zu viel und auch zu schnell! Du bist noch jung, deine große Leidenschaft bringt dich in Gefahr.« Arnoldus ließ die Schultern fallen. »Vielleicht hast du Recht. Seit 15 Jahren lehre ich an dieser Universität, auch mir blutet das Herz, wenn ich mit ansehen muss, wie die junge, lebendige Wissenschaft, die neuen Erkenntnisse hier in Köln schon im Keim erstickt werden. Von uns Professoren wird erwartet, dass wir die alte Mumie den Studenten vorführen. Von Semester zu Semester.« Arnoldus
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