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Sturms Flug

Sturms Flug

Titel: Sturms Flug
Autoren: M Quandt
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Prolog
    Die Ohrfeige war heftig, fast brutal.
    Wenn Bernd in diesem Moment seine Sinne beisammengehabt hätte, wäre er höchstwahrscheinlich erschaudert, so wie die meisten Passagiere in den ersten Sitzreihen, denen das heftige Klatschen nicht entgangen war. Der Kopf der Stewardess flog zur Seite, ihr Schiffchen, dieses lächerliche Hütchen mit dem Logo der Airline, das sie mit einer Haarnadel in der richtigen Position fixiert hatte, löste sich und sauste in hohem Bogen davon.
    »Weg da, hab ich gesagt!«, blaffte der Mann auf Englisch.
    Die Stewardess musste eilig zurückweichen, um seinem auskeilenden Ellenbogen zu entgehen.
    Wäre Bernd nicht wie paralysiert gewesen, hätte er sich vermutlich gefragt, warum niemand etwas gegen diesen Rüpel unternahm. Bei der Stewardess, so erkannte er, handelte es sich um Grietje. Der Name stand auf einem Messingschildchen an ihrer Bluse. Grietje war eine weiße Südafrikanerin, genau wie die übrigen Crewmitglieder an Bord des Fluges SWX 714 von Mombasa nach Köln. Sie mochte Mitte vierzig sein, recht alt für eine Stewardess, doch dafür war sie ungemein charmant und hatte stets einen lockeren Spruch in petto gehabt.
    Aber das war ihr inzwischen gründlich vergangen. Verzweifelt bückte sie sich nach ihrem Schiffchen, so als wäre auf der Stelle alles in Ordnung, sobald es wieder an seinem Platz saß.
    Ihre Kollegin stand da und starrte den handgreiflich gewordenen Passagier an.
    Der war ein Schwarzafrikaner, ein unangenehmer, nach Schweiß stinkender Mann, der etwas Beängstigendes an sich hatte. Obwohl er weder groß noch breitschultrig war, wirkte er gefährlich und gewalttätig. Alle konnten seine Brutalität spüren. Das war vermutlich auch der Grund dafür, dass niemand einschritt und dem Kerl befahl, sich wieder auf seinen Platz zu setzen, so wie es Grietje vorhin ein halbes Dutzend Mal in freundlichem Tonfall versucht hatte.
    Mittlerweile hatte er jenen Bereich betreten, der von der Crew Bordküche genannt wurde, dabei jedoch nichts anderes war als ein winziges Stückchen leerer Raum zwischen Cockpit und Kabine. Dort hantierte er ungeduldig an den Servicewagen herum, die normalerweise von den Stewardessen dazu benutzt wurden, den Passagieren das Essen zu bringen.
    »Was machen Sie denn da?«, wollte Grietjes Kollegin wissen, erst auf Englisch, dann auf Deutsch mit holländischem Akzent. Sie war wesentlich jünger als Grietje und ausnehmend hübsch, und ihre Muttersprache war vermutlich Afrikaans , ein mit dem Niederländischen verwandter Dialekt, den die Mehrheit der Weißen in Südafrika sprach. Ihr Tonfall verriet eine Mischung aus Unbehagen und Verblüffung. »Sind Sie taub?«
    Der Kerl ignorierte sie und ruckelte weiterhin an den Servicewagen herum. Diese befanden sich an der Rückwand zum Cockpit, eingepasst in schrankartige Aussparungen, wo sie von metallenen Bügeln am Wegrollen gehindert wurden.
    Zaghaftes Murmeln wurde laut, alle fragten sich, was der Typ im Sinn hatte.
    Bernd konnte die Szene genau beobachten, denn er saß in der zweiten Reihe und direkt am Gang, sodass ihm sogar ein Blick ins Cockpit möglich war. Das heißt, natürlich nur, wenn die Tür offen stand, was meistens nicht der Fall war. Nur als einer der Piloten vor vielen Stunden die Toilette aufgesucht hatte, war die Tür kurz geöffnet worden, und als Grietje das Essen ins Cockpit gebracht hatte. Da hatte Bernd einen flüchtigen Blick auf eine schmale Panoramascheibe erhascht, hinter der sich schier endloses Himmelblau erstreckte. Und eine ganze Batterie von Knöpfen, Skalen, Lampen und Schaltern hatte er gesehen, die das Cockpit vom Boden bis zur Decke auszufüllen schienen.
    Seither war die Tür längst wieder geschlossen.
    Der Schlägertyp ließ sich auf alle viere nieder und kroch leise fluchend in einen der Stauräume, nachdem er zuvor einen Servicewagen aus seiner Halterung befreit und zur Seite geschoben hatte. Offenbar suchte er etwas, das sich am Boden befinden musste. Von Bernds Platz aus waren nur noch sein Hinterteil in einer schäbigen Jeans sowie seine Füße zu sehen. Auch Grietje und ihre Kollegin betrachteten das groteske Bild. Es war ihnen anzumerken, dass sie soeben ein Novum erlebten, denn offenbar hatte sich noch keiner ihrer Fluggäste jemals derart absonderlich verhalten.
    »Sind Sie noch bei Trost? Kommen Sie gefälligst da raus!«, rief Grietje mit schriller Stimme, als das Schiffchen wieder ordentlich auf ihrem Kopf saß.
    Keine Reaktion.
    Ihre hübsche Kollegin
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