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Sturms Flug

Sturms Flug

Titel: Sturms Flug
Autoren: M Quandt
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Paukenschlag. Von einer Sekunde zur nächsten war ihm schlecht geworden, dann heiß und kalt, dann hatte er das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Nun, eine Papiertüte war wenigstens in greifbarer Nähe gewesen, doch gottlob war sie nicht zum Einsatz gekommen.
    Der Brief …
    Eine Stimme holte ihn in die Realität zurück.
    »Jetzt reicht’s, verdammt noch mal! Was soll der Mist? Wieso drehen diese dämlichen Busse wieder um?«
    Grietje hatte wirklich einen miesen Tag erwischt, denn nach der Attacke des Schwarzen musste sie sich nun mit einem weiteren Spinner auseinandersetzen, der wild gestikulierend und in penetranter Lautstärke auf sie einredete. Er beschwerte sich, schimpfte, salbaderte ohne Unterlass, beschwerte sich erneut. Als ob eine simple Stewardess Schuld daran wäre, dass die Busse kehrtmachten.
    Bernd beugte sich zur Seite und versuchte, einen Blick aus dem Fenster zu werfen. Das war schwierig, da zwischen ihm und der DIN-A -4-großen Plexiglasscheibe ein Ehepaar saß, das sich ebenfalls die Nasen platt drückte und die Sicht versperrte. Dennoch sah er, wie die lang ersehnten Busse, die eigentlich dazu bestimmt waren, die Passagiere endlich abzuholen, tatsächlich wieder in Richtung Terminal davonfuhren. Und noch dazu in wahnwitzigem Tempo, wie es schien. Einer schlingerte bedrohlich, als er der Markierung auf dem Rollfeld folgte, die an einer Stelle eine Kurve beschrieb. Dann fiel ihm auf, dass die Gepäckauslader verschwunden waren, obwohl die halb bepackten Wagen noch in der Nähe des Flugzeugs standen.
    Sonderbar.
    »Mama, wann dürfen wir endlich nach Hause?«, quengelte ein Mädchen.
    Während das allgemeine Gemurmel immer lauter wurde, setzte der Beschwerdeführer seine Litanei fort. Grietje war zu bedauern. Zeter, Zeter, Zeter.
    Bernd betrachtete den schimpfenden Mann und erkannte ihn, obwohl er ihm den Rücken zukehrte. Das schulterlange Haar, der Ohrring und das Piratentuch auf dem Kopf waren unverkennbar. Der Typ war ein Großmaul, ein unsympathischer Polterer und Grobian, der im selben Hotel gewohnt hatte wie Bernd. Immer, wenn er und Hanna dem Kerl über den Weg gelaufen waren, hatten sie sich über ihn lustig gemacht, sei es beim Essen oder an der Poolbar beim Cocktail. Den Easy Rider hatten sie ihn heimlich genannt und sich gefragt, ob er tatsächlich nur das eine T-Shirt besaß, mit dem man ihn stets zu Gesicht bekam. Es war schwarz und schmutzig und trug den Schriftzug Harley Davidson .
    Er hatte Mitleid mit dem Easy Rider, trotz seines Benehmens, denn wenn jemand an Bord einen Grund hatte, die Nerven zu verlieren, dann er. Immerhin lag seine Freundin tot in einem Sarg tief unten im Gepäckraum dieses Flugzeugs. So hatte er sich die Rückkehr aus dem Urlaub garantiert nicht vorgestellt.
    Apropos Grobian: Wo war eigentlich der Schwarzafrikaner geblieben?
    Bernd schaute in Richtung Bordküche, doch der Kerl schien verschwunden zu sein. Doch wohin? Der Platz im Schrank, den er vorhin auf so aberwitzige Weise erkundet hatte, wurde inzwischen wieder von dem Servicewagen eingenommen. Grietje hatte ihn dorthin zurückgeschoben, und Bernd hatte sie dabei beobachtet, ohne es richtig wahrzunehmen. Der Brief hatte ihm die Sinne vernebelt. Erst als er sich konzentrierte, wurde ihm klar, dass der Schwarzafrikaner nach einer Weile gefunden hatte, wonach er offenbar gesucht hatte: Ein Behältnis, das in ihm unwillkürlich die Vorstellung eines Saxofonkoffers geweckt hatte. Damit war der Typ ins Cockpit gestürmt, und Grietje hatte es nicht gewagt, ihn daran zu hindern. Das Ganze war vollkommen absurd.
    Auf einmal knackte es im Lautsprecher. Schlagartig verstummte das vielstimmige Murren. Auch der Easy Rider mit seinem Harley-Shirt und dem Piratentuch hielt die Luft an und lauschte, da er erwartete, dass sich nun der Kapitän melden würde, um zu erklären, warum die Busse wieder kehrtgemacht hatten.
    »Verehrte Fluggäste …«, ertönte tatsächlich seine Stimme, doch diesmal klang sie seltsam belegt.
    Die Durchsage brach ab, kaum dass sie begonnen hatte. Ein Schrei war zu hören, der eindeutig aus dem Cockpit kam.
    In der nächsten Sekunde wurde die Cockpittür aufgestoßen. Nein, aufgestoßen war untertrieben, sie flog geradezu aus den Angeln.
    Grietje zuckte zusammen. Sogar der Easy Rider wich eilends zurück, während der Schwarzafrikaner im Türrahmen auftauchte. Und da wusste Bernd, dass sich kein Saxofon in dem Kasten befunden hatte.
    Flug SWX 714 wurde entführt.

Kapitel 1
    22 Tage vor
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