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Sturms Flug

Sturms Flug

Titel: Sturms Flug
Autoren: M Quandt
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der Entführung des Fluges SWX 714
    Der Busbahnhof war typisch für das südliche Afrika: Staub, Lärm, Gedränge, schwitzende, schiebende und lamentierende Menschen allenthalben, ausnahmslos dunkelhäutig mit leuchtend weißen Zähnen und schwarzem Kraushaar; hier eine Frau, die ein Bündel auf dem Kopf balancierte, dort ein Mann, der lautstark sein Fladenbrot zum Verkauf anbot, weiter hinten eine Großfamilie, die im Gänsemarsch die Straße überquerte und damit den gesamten Verkehr zum Erliegen brachte. Ein Heer von Autohupen gab ein schräges Konzert, die Luft brodelte.
    Mittendrin: Eine verloren wirkende Frau mit einem zotteligen kleinen Hund an der Seite, der ihr auf Schritt und Tritt folgte. Sie war weit und breit die einzige Europäerin, genau genommen sogar die einzige Weiße, wenngleich ihre Haut nach vier Wochen Tropensonne die Farbe von dunklem Kupfer angenommen hatte. Ihr Haar wies eine ähnliche Tönung auf, doch das war angeboren und nicht der Sonne zuzuschreiben. Obwohl sie es zu Hause gern offen trug, hatte sie es an diesem Tag zu einem Zopf geflochten, der hinten aus ihrem Basecap hervorquoll und bis zur Hüfte reichte.
    Unwillkürlich presste sie die Unterschenkel gegen den Aluminiumkoffer, den sie zwischen ihren Beinen abgestellt hatte. Gleich daneben lag der Hund zu ihren Füßen und gähnte. An das Brummen des Koffers hatte er sich inzwischen gewöhnt.
    Und der Koffer brummte tatsächlich, doch das konnte man nur hören, wenn man nahe genug heranging. Klingt wie ein Kühlschrank , hatte sie gedacht, als sie das sonore Geräusch zum ersten Mal vernommen hatte. Nicht auszudenken, wenn der Koffer verloren ging. Ihr Gepäck oder vielmehr das Wenige, das noch davon übrig war, nachdem sie den Großteil davon im Hotel zurückgelassen hatte, befand sich nicht darin, sondern in einem Tornister auf ihrem Rücken. Das Hemd darunter war durchgeschwitzt und klebte ihr auf der Haut.
    »Du brauchen Taxi, Missi?«, fragte jemand in einem Englisch, das so holprig war, dass man es kaum als solches erkennen konnte.
    Sie zögerte einen Moment, um dann abzulehnen. Nein, was sie brauchte, war kein Taxi, sondern ein Bus mit möglichst vielen Fahrgästen darin, denn nur in einer Menschenmenge konnte sie sich halbwegs sicher fühlen.
    Der Mann ließ nicht locker. »Mein Taxi sein gutes Auto«, beteuerte er. »Haben bequeme Sitze. Außerdem Fahrpreis sehr niedrig.«
    Sie schaute sich nach allen Seiten um, schüttelte den Kopf, mühte sich ein Lächeln ab. » Ngiyabonga. « Das hieß »danke« und war eines von schätzungsweise dreißig Siswati-Wörtern, die sie sich angeeignet hatte. Dann fuhr sie auf Englisch fort. »Ich brauche kein Taxi. Aber vielleicht kannst du mir sagen, wo ich einen Bus finde, der nach Jo’burg fährt.«
    Jo’burg war die landläufige Kurzbezeichnung für die Stadt Johannesburg, die größte Metropole Südafrikas. Die Herfahrt von dort mit dem Jeep hatte knapp acht Stunden gedauert, wie sie sich mit Unbehagen erinnerte, und es stand zu befürchten, dass die Reise mit dem Bus zurück wesentlich länger dauern würde.
    Der Taxifahrer erwiderte ihr Lächeln und zeigte zwei Zahnreihen, die unglaublich weiß aussahen, so wie bei den meisten Angehörigen des Bantu-Volkes. Er ging in die Knie, um ihr den Aluminiumkoffer abzunehmen, vermutlich mit dem Vorsatz, ihn einfach in seinem Taxi zu verstauen und sie damit doch noch als Fahrgast zu gewinnen.
    Der Hund, der bis dahin schläfrig neben dem Koffer gedöst hatte, fuhr hoch und kläffte die fremde Hand an, die ihm unversehens so nahe gekommen war. Sein zotteliges Fell sträubte sich, dann fletschte er die Zähne. Obwohl er nicht besonders groß war, kaum größer als ein Dackel, zuckte der Taxifahrer erschrocken zurück.
    »Keine Angst, Bodo«, beruhigte sie das Tier und tätschelte ihm mit der Linken den Kopf. Mit der Rechten griff sie sich den Koffer. Eine Sekunde später war sie bereits in der Menschenmenge untergetaucht und hatte den Taxifahrer stehen gelassen, ohne ein weiteres Wort an ihn zu verlieren.
    Da erklang hinter ihr ein aufgebrachter Schrei, und sie warf einen Schulterblick zurück. Doch der Ruf galt nicht ihr, wie sie erleichtert feststellte, sondern einem Straßenhändler, der die Abfahrt eines Busses blockierte.
    Sie atmete tief durch, wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn.
    Ihre Nerven lagen blank. Verdammt, sie musste verschwinden, musste sich so schnell wie möglich nach Johannesburg durchschlagen, um dort
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