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Sturms Flug

Sturms Flug

Titel: Sturms Flug
Autoren: M Quandt
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immer noch mit penetranter Regelmäßigkeit überwies. Jo hatte eine Schraube locker. Wenn er glaubte, sie kaufen zu können, hatte er sich geschnitten, der blöde Hund. Trotzdem hätte sie ein Vermögen dafür gegeben, wenn er in diesem Moment bei ihr gewesen wäre.
    Sie ließ den Blick schweifen. Auf der anderen Straßenseite schälte sich die graue Fassade der Arztpraxis aus dem Nebel.
    Ein Blick zur Uhr. Zwanzig nach elf. Allmählich gingen ihr die Ideen aus, wie sie das Unvermeidliche noch länger hinauszögern sollte. Auf die Sekunde genau um neun Uhr hatte ihr Telefon geklingelt. »Praxis Doktor Niggemann«, hatte sich die Sprechstundenhilfe ihres Hausarztes gemeldet. »Ist dort Frau Sturm?«
    Mara hatte schlucken müssen, erst dann war es ihr gelungen, ein halbwegs verständliches »Ja« hervorzubringen.
    »Äh … schön. Guten Tag, Frau Sturm. Herr Doktor Niggemann bittet mich, Ihnen mitzuteilen, dass der Laborbefund vorliegt.«
    Mara hatte unwillkürlich die Luft angehalten. Ihre Bemühungen, am Tonfall der Arzthelferin zu erkennen, wie das Ergebnis lautete, waren natürlich fehlgeschlagen.
    »Und?«, hatte sie schließlich so beiläufig wie möglich gefragt. Die Vorstellung, für feige gehalten zu werden, war ihr ein Gräuel. Das mutete angesichts ihrer Situation ziemlich verrückt an, spiegelte jedoch unleugbar ihre Empfindungen wider. Außerdem wollte sie auf keinen Fall in Tränen ausbrechen, weder am Telefon noch sonst wo. Sie hatte genug geheult in den letzten zwei Tagen. »Wie lautet das Ergebnis?«
    »Äh …«, hatte die Sprechstundenhilfe erwidert, »darauf darf ich Ihnen leider nicht antworten, das muss Ihnen der Herr Doktor persönlich sagen.«
    »Wann soll ich da sein?«
    »Wann Sie möchten. Die Praxis ist bis dreizehn Uhr geöffnet und heute Nachmittag wieder ab sechzehn Uhr.«
    Ihr Herz hatte für einen Schlag ausgesetzt. Das war ein Zeichen! Normalerweise konnte man bei Dr. Niggemann nicht einfach auftauchen, wann man wollte. Ohne Termin ging da für gewöhnlich gar nichts. Dass dies plötzlich anders sein sollte, konnte nur bedeuten …
    Mit Mühe hatte sie dem Impuls widerstanden, die Arzthelferin anzuschreien, sie solle ihr gefälligst die verdammte Wahrheit sagen. Der Befund war positiv, sie hatte AIDS , basta! Warum konnte man ihr das nicht ohne Umschweife mitteilen?
    Dennoch hatte sie sich beherrscht und versichert, so schnell wie möglich in der Praxis zu erscheinen.
    »Bodo, ich habe Angst«, hörte sie sich in diesem Moment flüstern. Ihre grünen Augen wurden einmal mehr feucht, während sie weiterhin zur anderen Straßenseite starrte, wo gerade ein Mann mit Regenschirm und hochgeschlagenem Mantelkragen in der Praxis verschwand.
    Bodo rückte näher an sie heran und drückte seinen Kopf gegen ihren Arm.
    Wie gern hätte sie jetzt Bernd an ihrer Seite gehabt. Nicht nur für den Gang zur Urteilsverkündung beim Arzt, sondern auch für alles andere.
    Doch diese Seifenblase war zerplatzt.
    Ja, er hatte sich rechtzeitig in Sicherheit bringen können und war der Feuersbrunst entkommen. Genauso wie die schwarz gekleidete Frau, die mit ihm auf der Gangway gestanden hatte. Das war’s dann aber auch schon mit den guten Nachrichten.
    Nach dem Schlamassel war Mara den beiden nämlich in der Flughafenhalle begegnet. Die hatte man abgesperrt und zum Betreuungsbereich umfunktioniert, um sich der Geiseln anzunehmen, bis sie von Verwandten abgeholt oder in die Obhut von Psychologen übergeben wurden. Einige hatten sich sogar in der Lage gefühlt, den Heimweg allein anzutreten.
    Wie auch immer, Mara hatte von Weitem beobachtet, wie sich Bernd und die Punkerin in die Arme gefallen waren. Das hatte sehr intim gewirkt, obwohl es natürlich nicht mehr gewesen war als ein Ausdruck der Erleichterung, denn immerhin waren sie kurz zuvor dem Sensenmann von der Schippe gesprungen, und das hatte sie zusammengeschweißt. Doch dann hatten sie einander eine schiere Ewigkeit angeschaut, und ganz plötzlich war der Umarmung ein zaghafter Kuss gefolgt, dann noch einer, dann wilde Küsse und schließlich eine hemmungslose, ungezügelte Knutscherei. Minutenlang hatten sie gelacht und geweint zugleich und sich dabei liebkost. Nach einer Weile waren sie gemeinsam in einem Taxi verschwunden. Mara hatte sich im Hintergrund gehalten und ihnen mit offenem Mund nachgestarrt.
    Am nächsten Tag hatte er sie angerufen. »Hallo, Hanna … ich meine, Mara. Danke für den Brief, jetzt weiß ich Bescheid. Wie … wie geht es
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