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Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen
Autoren: Tilman Röhrig
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auf die feinen Studenten! Sie mit ihren Sonderrechten, die sich mit Geld ermöglichten, was den gleichaltrigen Gesellen unerreichbar blieb, diese Herrlein, die Jagd auf Bürgertöchter machten, ihnen die Augen verdrehten und sogar an Wochentagen Zeit hatten, die Kölner Mädchen spazieren zu führen, sich in den Wiesen vor der Stadt mit ihnen herumzubalgen! Johann wusste, wie schnell der angestaute Hass in blutige Kämpfe umschlug.
    Heute Abend war die Straße noch belebter als sonst. Wie gewohnt suchten Bürger, Mönche und Studenten ihr Vergnügen, doch heute mischten sich auch die fremden Gäste unter das Volk. Bettlern und Dirnen blühte das Geschäft, vor einigen Wirtshäusern drängten sich die Besucher, fluchten und schimpften empört, die Gaststuben fassten den Ansturm nicht.
    Voll Unruhe suchte Johann den Fremden zu entdecken, in dem Gedränge, das sich unter den beiden Laternen kurz in einzelne Menschen auflöste, gleich wieder ins Halbdunkel weitertauchte, fand er ihn nicht.
    Das Grölen der Tischlergesellen, sie kehrten zurück, fluchten auf irgendeinen Wirt, der sie nicht eingelassen hatte. Wenn ich hier im Licht stehen bleibe, werden sie ihre Wut an mir auslassen. Johann tastete nach dem Brotmesser.
    »Klopreis.«
    Seine Stimme! Eilig wandte sich Johann um, ohne den Fremden zu sehen, ging er in die Sicherheit des Dunkels. Laut stritten die Handwerksburschen, er blickte zurück. Sie schwankten vor dem hellen Eingang und fielen ins Innere.
    »Hier bin ich, Klopreis.« Eine Hand berührte seine Hand. Dicht nebeneinander reihten sie sich in das abendliche Gewühl, folgten der Schmierstraße in Richtung Stadtmauer. Der hagere Mann schwieg, und Johann wagte nicht zu fragen. Kurz vor den ersten Gebäuden der Laurentianer Burse, gleich nach der Bäckerei, zog ihn sein Führer von der Straße weg, sie tasteten an der Hauswand entlang, erreichten einen Bretterzaun, der Fremde öffnete die Pforte eines großen Tors, schob Johann in den Hof, folgte rasch und schloss leise die niedrige Tür. Kein Lichtschimmer, kein Hund, der bellte.
    »Bleib ruhig, wir sind richtig«, raunte er. »Hier kenne ich mich aus. Bis zu meinem Examen, vor drei Jahren habe ich nebenan in der Laurentianer Burse gewohnt.«
    Johann sah seine Augen.
    »Ich bringe dich jetzt zu Freunden. Uns verbindet keine Freundschaft, wie du sie dir vorstellen magst. Jeder fühlt nur, dass unser Leben, unser Denken, wie es von den Vasallen des Papstes diktiert wird, sich ändern muss. Diese große Hoffnung verbindet uns.«
    »Gegen den Heiligen Vater in Rom?«
    »Still. Hab keine Angst. Hör nur zu.« Mit beiden Händen zog er Johanns Gesicht näher. »Auch wenn du dich noch fremd fühlst, ich bin sicher, dass du uns bald begreifst. Diese schändliche Verbrennung heute Morgen war ein Aufbäumen gegen den Fortschritt. Doch nichts wird ihn aufhalten können. Im ganzen Reich brodelt die Empörung über das Ablassgeschäft des Papstes. Niemand kann sich mit Geld von seinen Sünden loskaufen. Mit dem Ablass werden die Gehorsamen und Armen ausgeplündert, doch Gott lässt mit sich keine Geschäfte machen! Martin Luther hat in seinen Thesen nur zusammengefasst, was viele von uns denken. An anderen Universitäten werden die Forderungen Martin Luthers öffentlich diskutiert. Hier in Köln verschließt man sich wie immer dem Neuen.« Noch fester presste er Johanns Kopf. »Diese Stadt ist nichts als eine riesige Festung, mit starken Mauern nach außen. Im Innern regieren fette Kaufleute, feiste Pfaffen, das Denken wird bestimmt durch einige verknöcherte Professoren, schlimmer noch, durch vermoderte Theologisten, die nur um ihre Pfründe besorgt sind, nicht um ihre Seele. Heute auf dem Domplatz triumphierte ihre alte Macht, und dieser Inquisitor Jakob von Hochstraten ist ihr gefährlichster Diener.«
    Johann befreite sich von den Händen, wich zurück. »Und wenn er uns findet?« Die Angst umklammerte ihn. Jeder einzelne Satz des Fremden führte direkt in den Kerker.
    »Verzeih, meine Empörung frisst mich auf. Hab keine Furcht. Wir treffen uns heute zum ersten Mal an einem sicheren Ort. Diese Vorsicht gilt nur heute. Hochstraten wird sich nicht weiter um uns kümmern, der Widerstand hier in Köln ist ihm zu unbedeutend. Ich kenne diesen ehrsüchtigen Dominikaner. Er will nur große Schläge austeilen, die hörbar sind, bis hinauf zum Erzbischof.«
    Johann dachte an Flucht, wünschte sich zurück in seine Kammer.
    »Komm.« Fest nahm ihn der hagere Mann an der Hand,
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