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Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman

Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman

Titel: Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman
Autoren: Jana Seidel
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wenigstens eine Beschäftigung zu geben.
    »Nicht so traurig gucken, Häschen«, sagt mein Vater unsicher. Dann hat er einen Einfall. »Los, wir machen einen Spaziergang.«
    Er glaubt, körperliche Ertüchtigung sei ein Allheilmittel.

    Ich erinnere mich an grausame, ausgedehnte Wandertouren durch den Harz in meiner Kindheit und frage mich, ob es wirklich so eine gute Idee war, anzukündigen, dass ich mindestens einen Monat bleiben würde. Aber was sollte ich sonst tun? Meine Wohnung in Hamburg ist schon wieder vermietet – mitsamt meinen Möbeln. Ich hatte eine spontane Wahnsinnsattacke, in der ich mir ganz sicher war, ich müsste alles erneuern, um Martin zu vergessen – neue Wohnung, neue Möbel, neuer Job. Deswegen sollte man auch nie am Arbeitsplatz etwas mit jemandem anfangen. Geht es schief, brechen gleich alle Lebensbereiche zusammen. Nun hatte ich die Wahl: mich entweder bei Juli einquartieren, die Absagen, die dank meines umsichtigen Nachsendeantrags bei ihr eintreffen würden, selbst zu öffnen und trübsinnig aus dem Fenster starren. Und darauf warten, dass meine Freunde, die arbeitende Bevölkerung, abends für mich Zeit hätten, um sie dann vollheulen zu können. Oder aber die vorübergehende irische Isolation. Dann doch lieber Letzteres. Aber ob Wanderungen zwangsläufig dazugehören müssen?
    »Ich habe leider gar nichts anzuziehen, schade«, entgegne ich und verziehe bedauernd mein Gesicht. Ich bin eine Heuchlerin.
    Mein Vater sieht für einen kleinen Moment betrübt drein, dann erhellt dieses männliche Heimwerker-Strahlen sein Gesicht, das signalisiert, dass man eine geniale Lösung für den tropfenden Wasserhahn gefunden hat – die sich dann meist als noch größere Katastrophe entpuppt. »Kein Problem, es ist alles da, was du brauchst«, ruft er.
    Sag ich doch! Katastrophe! Kurz darauf stehe ich in einer seiner uralten Wollhosen vor ihm, die ich mit meinem
teuren, senfgelben Chiffon-Tuch festzurren muss, damit sie nicht runterrutscht. Wie angenehm, dass er auch noch die gute alte Lammfelljacke aus den Siebzigern hat, von der er sich nie trennen mochte. Na ja, wer wird uns in dieser einsamen Gegend schon über den Weg laufen?
    Wir marschieren also los.
    In meinen Wimpern hängt Schnee, und ich blicke immer wieder in Richtung des Anwesens.
    »Ach, das habe ich dir noch gar nicht gesagt, Lu. Sir Henry hat uns für heute Nachmittag zum Tee eingeladen. Netter Kerl«, sagt mein Vater, der einen meiner neugierigen Blicke aufgefangen hat.
    Sir Henry? Zum Tee? Soll das ein Scherz sein? Ich sehe meinen Vater genauer an, sehe aber kein Zucken in seinen Mundwinkeln. Dafür fällt mir zum ersten Mal auf, wie gut ihm seine neue Cordhose und das Tweedjackett unter dem beigefarbenen Wintermantel stehen. Er sieht ganz so aus, als gehöre er hierher. Nostalgische Wehmut überkommt mich. Früher hatte dieser Mann ganz eindeutig an die Seite meiner Mutter gehört. Reißt man beide auseinander, bleibt von dem Ort meiner Kindheit nicht mehr viel übrig. Unser Haus steht zum Verkauf, und meine Eltern sind seit ihrer Trennung im letzten Jahr ganz andere Menschen geworden. Nun ja, nicht ganz, mein Vater ist zum Glück immer noch der gleiche verschmitzte, schweigsame Bücherwurm, nur dass er eben Tweed und Cord in einem irischen Cottage trägt. Aber meine Mutter entdeckt gerade ihren zweiten Frühling. Also die Mutter, wegen der ich früher immer aufgezogen wurde, weil sie ausgerechnet an meiner Schule die strengste und verbiestertste Lehrerin sein musste, die man sich nur vorstellen kann. Was heißt eigentlich »zweiter
Frühling«? Ich glaube nicht, dass sie einen ersten gehabt hat. Nun jettet sie als Frührentnerin mit einem jungen Künstler, den sie aushält, durch die ganze Welt. Es ist zum Würgen und aus der Haut fahren.
    »Guten Morgen, Mr. Magpie! Wie geht es der Gattin?«, dröhnt es da plötzlich vor uns. Eine Elster flattert erschreckt direkt vor meiner Nase hoch. Ich muss mich ducken, damit sich keine Vogelkrallen in meiner ohnehin schon derangierten Frisur verfangen. Ich schaue durch die Schneeflocken auf meinen Wimpern hoch. Vor uns steht ein korpulenter, rotgesichtiger Mann. Die eine Seite seines ausgefransten Jackettkragens guckt unterm Mantel hervor, die andere steckt darunter. Der Mantel hängt auf einer Seite tiefer als auf der anderen, weil der Typ offenbar nicht für jeden Knopf das passende Knopfloch erwischt hat.
    »Guten Morgen, Seamus«, ruft mein Vater fröhlich.
    »Hallo«, donnert
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