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Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman

Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman

Titel: Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman
Autoren: Jana Seidel
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bleiben, geben Männer ja immer nur so viel zu, wie man ihnen hieb- und stichfest nachweisen kann. Aber so dreist wie Martin ist dabei wohl kaum jemand gewesen. »Quatsch. Das war ich gar nicht. Keine Ahnung, was du dir da einbildest, gesehen zu haben.«
    Ich wollte ihm so sehr glauben, dass ich kurz davor war, mir selbst einzureden, dass ich tatsächlich nicht gesehen hätte, was ich gesehen habe. Ich glaube aber nicht, dass man aus diesem schwachsinnigen Verhalten unbedingt ableiten kann, dass mit mir etwas nicht stimmt.
    Es ist doch erwiesenermaßen so, dass sich die Erinnerung eines Menschen ziemlich leicht manipulieren lässt – ganz ohne dass ein Gehirnchirurg mit Skalpell ans Werk gehen muss. Ein Forscher hat ein paar Studenten ziemlich eindringlich Kindheitserinnerungen wildfremder Menschen geschildert. Eine Woche später wurden die Studenten nach ihren eigenen Kindheitserinnerungen gefragt – und sie hatten ohne es zu merken die Schilderungen der anderen aus der Vorwoche eingebaut. Sogar an so unwahrscheinliche
und seltene Ereignisse wie Erdbeben oder Überfälle konnten sie sich »erinnern«. Einfach nur, weil sie es sich beim Zuhören so intensiv vorstellten, dass diese Bilder sich zwischen die eigenen Erinnerungen geschummelt hatten. Alles klar? Das Gleiche ist bei mir abgelaufen. Und wie ich mir gerade so schön intensiv vorstellte, rein gar nichts gesehen zu haben, musste dieser blöde Martin sich doch urplötzlich dafür entscheiden, klein beizugeben: »Es war doch nur Sex. Was regst du dich so auf?« Gelangweilt blickte er dabei aus dem Fenster und nippte noch mal an seinem Rotwein. Ich war außer mir. Und dann begriff ich, dass er mich wirklich nicht verstand und meinen Zorn für eine Art PMS hielt. Er konnte an seinem Verhalten gar nichts Verwerfliches erkennen. Dieser Mann sah sich absolut im Recht. Dieser Mann würde dort genauso unbeweglich stehen bleiben, wenn ich einfach ginge. Dort würde er einfach warten, bis ihn die Nächste aufliest – genügend Bewerberinnen gab es ja. Also ging ich und schrieb einen Haufen Bewerbungen.

    I ch muss eingeschlafen sein. Als ich meine Augen öffne, ist mir ganz warm. Ein Feuer brennt im Kamin. Mein Vater sitzt im Sessel neben mir und liest in einem Buch. Ich richte mich auf, torkele auf ihn zu und küsse ihn auf die Wange.
    »Hallo, Papa.«
    »Schön, dass du da bist, Liebes«, sagt er. Dann verschwindet er wortlos.
    Ich hatte ganz vergessen, dass er so wenig spricht. Wenn ich mal meine Eltern angerufen habe und zufällig er derjenige
war, der den Hörer abgenommen hatte, sagte er immer das Gleiche: »Ich hole mal deine Mutter.«
    Na ja, so wird es zumindest keine peinlich-emotionalen Vater-Tochter-Gespräche geben. Als er zurückkommt, hat er zwei Gläser mit einer klaren Flüssigkeit und Eiswürfeln in der Hand. Ich muss gar nicht daran nippen, um zu wissen, dass es sich dabei um einen Gin Tonic handelt. Auch wenn er nicht ein Mann der großen Worte ist: Er macht einfach immer das Richtige. Mir schießen schon wieder Tränen in die Augen – so gerührt bin ich. Er hüstelt verlegen, setzt sich wieder in seinen Sessel und starrt in das Feuer. Ich wische mir schnell die Tränen weg und tue es ihm gleich. Nach einer gefühlten halben Stunde seufzt er: »Was für ein Mist, oder, Häschen?«
    Das kann man wohl sagen.

    M ein Zimmer ist so wunderschön, dass das Erwachen am nächsten Morgen eine Offenbarung ist. Ich habe eines der der winzigen beiden Extra-Schlafzimmer mit Rosentapeten bezogen. Wer hier wohl mal geschlafen hat? Die Töchter der Pächter vielleicht. Durch das Fenster kann ich das Anwesen sehen. Herrlich – und so unwirklich, dass ich das erste Mal seit langem tief und fest durchgeschlafen habe. Echter, tiefer Schlaf ist was Großartiges. Man wacht auf, und die Welt ist wie neu. Bis dahin dachte ich ja, die Phase vier des Liebeskummers sei nur die Erfindung der Ratgeber-Trulla, die dachte, ein Ratgeber mit Happy End würde sich besser verkaufen. Aber nein. Irgendwo da draußen gibt es ihn wirklich, den »Neuanfang«. Ich brauche nur ein bisschen
Geduld. Wenn ich daran denke, wie ich einen ganzen Monat lang wie ein Roboter über die Flure geschlafwandelt bin und mit mechanischem Lächeln und viel Make-up in meinem Gesicht meine Arbeit erledigt und die Nächte durchgeheult habe – da bin ich jetzt doch wirklich schon einen riesigen Schritt weiter. Als ich runter in die Küche wanke, entdecke ich dort meinen Vater, der vor dem Fenster steht und
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