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Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman

Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman

Titel: Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman
Autoren: Jana Seidel
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wirklich nur Frischverliebte Platz finden. Zurück im Erdgeschoss finde ich hinter dem Wohnzimmer auch das Schlafzimmer meines Vaters. Ich hätte ihm vielleicht doch die genaue Uhrzeit meiner Ankunft mitteilen sollen. Wie schön wäre es, wenn er jetzt bei mir wäre. Ich bin so erschöpft, und ich fröstele am ganzen Körper. Holz habe ich allerdings nirgendwo gesehen. Und selbst wenn, ich wüsste auch gar nicht, wie man einen Kamin anfeuert. Resigniert sinke ich in den Ohrensessel meines Vaters vor der kalten Asche, wickle mich in die Wolldecke, die den vertrauten Duft von
Papas Aftershave angenommen hat, und heule erst mal eine Runde.

    W o mein Vater wohl bleibt? Nach über einer Stunde ist er immer noch nicht zurück. Vielleicht sollte ich etwas lesen, die Auswahl in den Regalen ist ja mehr als üppig. Dafür müsste ich aber aufstehen und daran hindert mich meine weinerliche Bequemlichkeit. Ich wühle lieber in der Handtasche neben mir, um mir den Liebeskummer-Selbsthilfe-Ratgeber von Juli zu schnappen. Als Erstes fällt mir aber das alte Buch mit Ledereinband und leicht vergilbten Seiten in die Hände, das ich außerdem mitgeschleppt habe. Das ist zwar nicht der Ratgeber, aber einer der Gründe, aus denen ich hier bin – neben der peinlichen Flucht vor dem Martin-Desaster samt plötzlicher Joblosigkeit. Es ist ein Gedichtband von Hermann Zuckermann. Darin werde ich blättern und mich auf meine selbst auferlegte Mission, die Geheimnisse des Dichters zu enträtseln, vorbereiten. Der Ratgeber ist im Grunde ohnehin überflüssig. Nach dem Gejammere von gerade eben weiß ich ganz genau, dass ich noch zwischen Phase zwei oder drei gefangen bin – also zwischen Verzweiflung und Zorn. Ich will aber nicht mehr heulen, immerhin ist das Ganze schon über einen Monat her. Es muss mir doch irgendwie gelingen, mich endlich in die nächste Phase zu katapultieren! Ich konzentriere mich auf meinen Lieblingstagtraum und male mir genussvoll aus, wie Martin vom Bus überfahren wird. Er wird dabei aber nicht zermatscht oder so. Er liegt hinterher nur leicht verrenkt mit unnatürlich abgewinkelten Beinen auf dem Asphalt.
Sein hübsches Gesicht wirkt – falls das bei der ganzen Sonnenstudiobräune, die er mit sich rumträgt, überhaupt geht – ein wenig blass. Nur ein ganz zarter Blutfaden läuft aus seinem Mundwinkel, als er einer Passantin zuhaucht: »Hätte ich doch nur Louisa nicht gegen die dicke Sekretärin eingetauscht!«
    Mich packt das schlechte Gewissen. Nicht wegen der Busfantasie an sich, aber Martin würde noch jeweils einen minderjährigen Sohn aus erster Ehe und zweiter Ehe zurücklassen. Wir haben uns kurz nach der Scheidung von seiner dritten Ehefrau kennengelernt und getrennt, bevor ich Nummer vier werden konnte. Aber seine arglosen Jungs können ja nichts dafür, dass ihr Vater ein Schwein ist, und haben es sicher nicht verdient, Waisen zu werden. Ich heule schon wieder.
    Mist! Schnell zurück zu meiner wichtigen Mission. Ich kralle mir den Gedichtband. Das Fesselnde daran sind weniger die Gedichte als das nahezu zerfallene Stück Papier, das beim ersten Blättern aus den Seiten geflattert ist. Es entpuppt sich als Brief, in altmodischer, schnörkeliger Handschrift verfasst und von Zuckermann höchstpersönlich unterzeichnet. Ich habe also allen Grund zu der Annahme, einen Originalbrief des Dichters an eine Frau aus Irland gefunden zu haben. Das käme einer literaturwissenschaftlichen Sensation gleich, und ich, Louisa Wolff, hätte sie entdeckt! Nun ja, es wäre nur beinahe eine Sensation. Blöderweise wird Hermann Zuckermann den eher unbedeutenden Dichtern zugeordnet. Seine Zeitgenossen nahmen ihn nicht sonderlich ernst, die Nachwelt noch weniger. Er hatte nämlich irgendwann angefangen, ausschließlich Gedichte über Elfen zu verfassen. Damit wäre er im 19. Jahrhundert
ganz vorne mit dabei gewesen, aber in den 60er Jahren des darauffolgenden Jahrhunderts war romantische Fantasterei so richtig out. Da wollte jeder ernstzunehmende Dichter nur die reine Wahrheit produzieren. Zuerst hatte Zuckermann diese Strömung ja noch mitgemacht: bemühte politische Prosa voller Sendungsbewusstsein, die zur Revolution anstacheln sollte. Ich habe ein bisschen davon gelesen und es schnell wieder aufgegeben. Der Kram war stinklangweilig. Eines Tages brach der zu dem Zeitpunkt recht erfolgreiche und geschätzte junge Zuckermann nach Irland auf. Über seinen Aufenthalt selbst weiß man wenig. Aber die neuen Gedichte, die er dort
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