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Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman

Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman

Titel: Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman
Autoren: Jana Seidel
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zumindest nichts. Erst zum Ende der Schulzeit änderte sich das. Da entdeckte ich einen der grundlegenden Mechanismen des Lebens: Die von mir bis dahin ignorierten Schulkameraden fanden mich nicht mehr merkwürdig, sondern
»cool«. Weil nach den unsicheren Teenagerjahren der Anpassung an die Gruppe urplötzlich gnadenlose Individualität gefragt war. Und als Schulschwänzerin, die sich mit allen Lehrern anlegte und sich von niemandem in die Karten blicken ließ, konnte ich die Anforderung mehr als erfüllen. Leider war das aber nur ein Missverständnis. Ich war einfach so dämlich zu glauben, die Typen an der Tafel könnten mir nichts anhaben. Zuhause in meinem Bett erfroren zwischen den Papphüllen unter meinem Kopfkissen hundert tapfere Männer bei einer Antarktis-Expedition. Das war dramatisch! Ein bisschen hat es mir aber gefallen, plötzlich »cool« zu sein. Ich habe verstanden, dass es eine phänomenale Taktik ist, sich rar zu machen. Und am besten funktioniert sie, wenn es gar keine Taktik ist. Schnell eignete ich mir auch noch alles andere an, was ein »cooles« Mädchen beherrschen muss. Ich tauschte die Jeans gegen Röcke und die Brille gegen Kontaktlinsen ein. Mit meiner blonden Mähne wuchs auch meine Gabe zu flirten. Und ich hörte – zumindest nach außen hin – auf, andere Menschen als unverständliche Forschungsobjekte zu betrachten, und fing stattdessen an, ihre Anwesenheit zu genießen. Mit ihnen zu lachen und auch ordentlich rumzualbern. Sprich: Ich bin mit der Zeit wirklich vernünftig und sozial verträglich geworden. Und es gefällt mir durchaus immer noch, für erfahren und abgeklärt gehalten zu werden. Aber offen gestanden ist Martin das Aufregendste, was in meinem 32-jährigen Leben bislang passiert ist. Ganz schön traurig eigentlich. Ich meine, natürlich hatte ich davor schon andere Beziehungen. Aber ich glaube eher deswegen, weil man ab einem bestimmten Alter eben Beziehungen haben muss. Ich bin da irgendwie immer so reingeschlittert und dann nicht so bald wieder rausgekommen.
Man will ja auch niemanden vor den Kopf stoßen. Ich wollte aber nie mit jemandem zusammenziehen, und habe mich schnell aus dem Staub gemacht, wenn es zu ernst wurde. Dahinter steckte nicht pure Gemeinheit, sondern Todesangst. Es gab da diesen kleinen Film, der sich in solchen Momenten vor meinem inneren Auge abspielte. Darin sah ich mich in der Rolle der geplagten Hausfrau mit zwei Kindern, die sich an der Kasse unter kreischendem Wutgeheul zu Boden werfen, weil sie die Hello-Kitty-Kaugummis wollen, während ich mir die fettigen Haare raufe, weil für mich und die Schönheitspflege schlicht keine Zeit mehr bleibt. Natürlich gab es in diesem Alptraum auch ein nettes Häuschen mit Spitzengardinen in der Küche, eine Wohnzimmerschrankwand und Wanderurlaube im Harz.
    Das hätte das Ende aller Kindheitsträume von aufregenden Reisen und Abenteuern bedeutet, die ich in irgendeinem Trotzwinkel immer noch versteckt hatte. Ja, und dann kam Martin, Rächer aller Männer, die ich jemals nicht zu schätzen gewusst hatte. Unsere Affäre hat mich hinterrücks überrumpelt. Es ging alles sehr schnell. Anfangs umwarb er mich so stürmisch, dass zum Nachdenken keine Zeit blieb. Bis es zu spät war. Da konnte ich mir dummerweise schon ALLES, ALLES, ALLES, was ich bis dahin nicht gewollt hatte, mit genau diesem Mann vorstellen. Gemeinsame Eigentumswohnung? Au ja! Großfamilie? Na klar! Blöd nur, dass sich nach der leidenschaftlichen Phase der Werbung zeigte, dass Martin noch viel mehr Angst vor heimeliger Gemütlichkeit und partnerschaftlichen Verpflichtungen empfand als ich in der gesamten Zeit davor. Ich habe mir noch eine ganze Weile eingeredet, es könne trotzdem funktionieren. Bis zu dem Tag, als ich das Zimmer besagter Sekretärin betrat.
Er massierte ihr gerade den Nacken, und sie seufzte wohlig: »Mehr davon.« Statt ihr zu antworten, biss Martin der ruchlosen Schlampe mit den Pornonägeln sanft in den Hals, als wäre er ein vampirischer Verführer.
    O Gott, mir wird schon wieder übel, wenn ich an diese doppelte Demütigung denke. Nicht genug, dass er mich betrog, er musste es auch noch ganz öffentlich an unserem gemeinsamen Arbeitsplatz tun, wo uns gerade mal ein Stockwerk trennt. Ich sitze nämlich in der Lokalredaktion direkt unter der Politik. Deutlicher kann man einem Menschen nicht zeigen, dass er einem total egal ist, oder? Danach wurde es richtig schlimm. Als kleine Jungs, die sie bis zu ihrem Lebensende
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