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Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman

Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman

Titel: Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman
Autoren: Jana Seidel
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mal einen ganzen Tag hier verbringen. Die Tapeten sind – wie bei uns – dunkelgrün. Über dem Kamin hängt ein Bild, das einen Mann mit Lockenperücke zeigt. Eine Hand stützt er locker und ein wenig arrogant auf sein Schwert. Bestimmt ein Vorfahre von Sir Henry. Sehr sexy eigentlich. Ob Sir Henry wohl einen Sohn hat? So einen düsteren angehenden Schlossbesitzer und Frauenhelden, der bekehrt werden muss? Schluss, Louisa, dass die Sache mit dem Bekehren so was von gar nicht klappt, hast du doch gerade am eigenen Leib erfahren …
    »Ein tolles Haus«, hauche ich.
    Mein Vater nickt abwesend. Sein Blick schweift in Richtung Flur, als suche er irgendetwas. Offensichtlich wird er fündig. Sein Gesicht leuchtet beseelt, so als hätte er eine Marien-Erscheinung, als eine zierliche Frau hereinkommt. Die dunklen Locken hat sie mit einem Samtband gebändigt, und ihr Gesicht hat tatsächlich etwas Madonnenhaftes – auch wenn mein Gefühl mir sagt, dass sie keine Jungfrau mehr ist. Ich schätze sie so um die 50. Sie trägt Jeans und einen dicken Pullover, in ihren Händen balanciert sie ein Tablett mit Gebäck, das intensiv nach Zimt duftet, Gurken-Sandwiches und Tee. Mein Magen fängt an zu knurren, weil er seit dem Leberwurst-Marmeladen-Sandwich am Morgen nichts mehr bekommen hat.
    »Du musst unbedingt den Zimtkuchen probieren«, raunt mein Vater mir zu, bevor er von der unbekannten Frau begrüßt wird – mit einem Wangenkuss!

    »Hallo, Louisa, ich bin Teresa – die Köchin sozusagen.« Sie lacht laut, und mein Vater fällt sofort mit ein. Entspannt lässt sie sich neben ihm auf das Sofa fallen, nachdem sie das Tablett auf den Tisch vor uns gestellt hat. Ich bin entsetzt. Erstens, weil es ihr gelingt, meinen Vater zum Erröten zu bringen. Zweitens, weil ich mich frage, was eine Italienerin in einem irischen Herrenhaus macht – wenngleich sie akzentfrei englisch spricht. Drittens sollten Köchinnen in solchen Häusern steife Matronen mit silbernen Haaren, grauen Kleidern und weißer Schürze sein. Keinesfalls sollten sie sich kichernd neben immer noch verheiratete Männer auf das Sofa werfen, nachdem sie das Essen gebracht haben. Dass die Scheidung schon eingereicht ist, tut hier wirklich nichts zur Sache. In dem Moment betritt Moira mit einem älteren Ehepaar im Schlepptau den Raum. Das müssen Sir Henry und Lady Violet sein. Sie lächeln übers ganze Gesicht und scheinen sich auch kein bisschen über Teresas anmaßendes Gebaren zu wundern. Himmel, wo bin ich hier reingeraten? Mein Vater ist doch erst seit einem halben Jahr hier! Ich erkenne ihn kaum wieder, und seine Umgebung ist mir auch völlig fremd. Sir Henry trägt einen grünen Tweed-Anzug, und Lady Violet sieht aus wie ein Flapper-Girl aus den 20er-Jahren. Sie trägt ein hellrosafarbenes, fließendes Kleid und eine gewellte, silberne Bob-Frisur. Ihr fehlt nur die Zigarettenspitze. Mit ihren sehr zarten Gesichtszügen macht sie einen etwas weniger robusten Eindruck als die anderen. Nur an ihren Augenfältchen erkennt man, dass sie fast genauso alt sein muss wie ihr Mann – so um die 70. Moira bastelt währenddessen gekonnt an einer Selbstgedrehten. Wenn mir jemand gesagt hätte, dass man ein Leben lang selbstgedrehte, filterlose Zigaretten rauchen und
die Haut von Moira haben kann, hätte ich mir die Qualen erspart, Nichtraucherin zu werden. Ich habe vor zwei Jahren mit Juli gemeinsam aufgehört. Aber ich glaube, die ersten paar Monate habe wir uns pausenlos belogen und hinter dem Rücken der anderen noch so die ein oder andere durchgezogen. Ach, Juli ... Gott, wäre das wunderbar, wenn ich mal mit meinen Freunden eine Woche in so einem Haus wie diesem verbringen könnte. Ich bin so benommen von der Wärme im Raum, diesen merkwürdigen Gestalten und der fremden Sprache, dass ich dem schnellen Gespräch nicht so ganz folgen kann.
    »Wie gefällt‘s dir denn hier?«, fragt mich Moira.
    »Oh, sehr gut, vielen Dank«, sage ich höflich und immer noch befangen.
    Moira lacht. Sie scheint mich außerordentlich drollig zu finden. Vermutlich bin ich das gerade auch ein wenig. Es wäre auch wirklich einfacher, cool zu sein, wenn man in einer vertrauten Umgebung ist, deren Sprache man perfekt beherrscht. Doch auch wenn sie mich ein wenig einschüchtert, finde ich Moira wunderbar. Ich könnte ihr den ganzen Abend beim Drehen und Rauchen zugucken.
    »Wie lange wirst du es denn mit uns alten Knackern aushalten? «
    »Ich weiß noch nicht genau, aber einen Monat
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