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Typisch Mädchen

Typisch Mädchen

Titel: Typisch Mädchen
Autoren: Marianne Grabrucker
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meinen Augen »mädchenhafte« Verhalten meiner Tochter nicht als durch meinen Einfluß verursacht erklären. In dieser Haltung wurde ich bestärkt von vielen kritisch und emanzipiert denkenden Müttern, die für sich selbst sicher waren, in keinem Fall geschlechtsspezifische Erziehung zu betreiben. Auch sie fanden, besonders wenn sie Tochter und Sohn hatten, daß es tatsächlich angeborenes Mädchen- und Bubenverhalten gebe. Dagegen sei kein Kraut gewachsen, das müsse eben akzeptiert werden. So mancher Seufzer schloß sich an. Die Mütter der Söhne wirkten dabei weniger resigniert als die Mütter von Töchtern. Eine Frau, die eine theoretische Magisterarbeit zu diesem Thema geschrieben hatte und mittlerweile Mutter eines Sohnes war, formulierte es so: »Ich werfe alle Theorie über Bord und sehe ein, daß es eben doch den angeborenen Unterschied gibt!« Auch in feministischer Literatur begann diese These Anklang zu finden und wurde verbreitet. 2
    Unausgesprochen steht hinter dieser Haltung die Annahme, die Erziehung durch die Mutter sei der ausschlaggebende Faktor für die Uberwindung der einengenden Geschlechtsrolle der Mädchen. Diese Ansicht hat sich bei der jetzigen Müttergeneration festgesetzt. Sie war mit den Neuanfängen der Frauenbewegung seit 1968, in deren Verlauf das Geschlechtsrollenverhalten neu problematisiert wurde, gewachsen. In den Köpfen der Frauen blieb haften: »Wir haben uns bewußtgemacht, auf welche Weise die Ideologie von Generation zu Generation weitergegeben wird und sich über alle materielle Realität hinwegzusetzen imstande ist: durch Erziehung, weitergegeben groteskerweise nahezu ausschließlich und fast monopolisiert durch eben jene unterdrückten Menschen, die eine Befreiung so bitter nötig hätten: die Frauen.« ... »Wer soll nun diese neue Erziehung tragen? - Nun, hier kann es nur eine Antwort geben: da sich unser System der Frauen bedient, um durch Erziehung sich selbst zu tradieren, müssen sich die Frauen der Erziehung bedienen, um das System zu überwinden!« ... »Wir halten also fest an der These von der Erziehung als ein Mittel der Emanzipation« 3 . Andere wissenschaftliche Ansätze und Einsichten, die den ganzen gesellschaftlichen Komplex miteinbezogen 4 , wurden von der Allgemeinheit der Frauen nicht angenommen und blieben Fachliteratur. Wir bestanden auf unserem Erziehungsprimat, lag es doch auch in einer Linie mit Schuldzuweisungen Freudscher Prägung, an die wir schon lange gewöhnt waren.
    Ich begann mich im Innersten dagegen zu wehren. Dieser Mütterfatalismus! Diese Schicksalsergebenheit! Von da an legte ich mir am Ende eines jeden Tages genau Rechenschaft darüber ab, was geschehen war, was ich gesagt und getan hatte und was von anderen Personen auf Anneli und ihre weiblichen und männlichen Spielgefährten übertragen worden war - immer unter dem Aspekt, inwieweit alle diese kleinen, zum Teil unscheinbaren Geschehnisse ihren Teil zur Rolle beitrugen. Meine Sensibilität wuchs in dem Maße, in dem ich all dies erst so richtig wahrnahm. Die Tage wimmelten oft nur so von verstecktem oder offenem Rollenzwang, selten von mir hervorgebracht.
    Aus der Anhäufung solcher Erfahrungen ergibt sich für das Kind ein Muster, nach dem es sein Verhalten innerhalb seiner Umgebung zwangsläufig ausrichten muß. Erst nachdem ich mir in drei Jahren diesen Überblick anhand ganz zufälliger Ereignisse verschafft und nunmehr alle Details im Gesamtbild erfaßt habe, merke ich, wie ich selbst und die Umwelt ein Steinchen aufs andere setzen, um daraus wieder eine Frau patriarchalischer Prägung zu formen und nicht einen Menschen mit mehr weiblichen oder männlichen Komponenten. Dabei geschieht so vieles unbewußt, ungewollt und ohne weiteres Nachdenken oder Erfassen der Situation. Aus diesem Grund haben ja auch die von mir darauf angesprochenen Mütter ein geschlechtsdifferenzierendes Verhalten ihrerseits rundweg abgestritten, wie ich dies wohl ohne das Tagebuch auch gemacht hätte. Im alltäglichen Leben habe ich überhaupt erst vieles als geschlechtsdifferenzierendes Verhalten erkannt und festgestellt, daß alles ablief wie ein Computer, der auf das Programm »Mädchenerziehung« geschaltet war. Daher glaube ich, daß die Mütter, die von der angeborenen Unterschiedlichkeit des Geschlechtsverhaltens ausgehen, einem Mechanismus unterliegen, der sich auf diese Weise immer wieder reproduziert. Der Automatismus der Lebensverhältnisse gibt genau diese weiter. Das Ergebnis wird dann
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