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Typisch Mädchen

Typisch Mädchen

Titel: Typisch Mädchen
Autoren: Marianne Grabrucker
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trifft das alles nicht zu. Im übrigen fehlen für den Zeitraum der ersten drei Lebensjahre überhaupt genauere Untersuchungen zum Erleben und Erfahren des Kleinkindes im überaus privaten, familiären Rahmen. (Hierzu siehe »Mädchenbericht« 9 und Ursula Scheu 10 .) Öffentlich wird die Behandlung der Kinder dann erst wieder, wenn sie in das Kindergartenalter eintreten 11 . Alle erwachsenen Personen, die an diesem Buch mitwirkten, ihre Rolle spielten, sind durchwegs aufgeschlossene, aufgeklärte, zum Teil politisch tätige Leute, die, wie ich selbst, aus der 68er Generation stammen und die den von den Ketten des Geschlechts befreiten Menschen erziehen wollen. Selbstbewußtsein, Entscheidungsfreude, Durchsetzungsvermögen und kritische Einsicht, aber auch Sensibilität zu vermitteln ist in ihrer aller Vorstellung von Erziehung lebendig. Und dann kommt alles ganz anders - wie dieses Tagebuch mir selbst bewiesen hat und all den anderen Töchter- und Söhne-Müttern beweisen soll. Es ist ein Signal für alle erwachsenen Personen mit Kindern und ganz speziell für diejenigen - wie ich selbst -, die aufgrund ihrer eigenen Aufgeschlossenheit eine geschlechtsdifferenzierende Zuwendung zu Kindern und Erwachsenen ablehnen.
    Schauplätze der Geschehnisse waren Berlin und München. Anneli wohnte in ihren ersten drei Lebensjahren mit mir abwechselnd in beiden Städten. Dazwischen verbrachten wir jedes Jahr noch einige Monate in Dörfern Südtirols und der Schweiz. Anneli war also einem breiten Spektrum zwischen dem sehr fortschrittlichen Norden bis zum ausgeprägt konservativen Süden ausgesetzt.
    In München lebte sie in der Vater-Mutter-Kind-Kleinfamilie, in der der Vater das Geld außer Haus verdiente, von Montag bis Freitag, und nur in den Abendstunden und am Wochenende zur Verfügung stand. Mutter und Vater haben beide den gleichen Beruf. In Berlin hingegen lebte sie mit mir ohne Vater und befand sich überwiegend in Gemeinschaft mit zahlreichen emanzipierten, feministischen Frauen. Im übrigen dokumentieren die hier vorgelegten Aufzeichnungen natürlich nur einen Ausschnitt aus Annelis ersten drei Lebensjahren. Im Grunde genommen wäre es möglich, zu jeweils unterschiedlichen Prozessen des Hineinwachsens in unser Leben ein ähnliches Tagebuch zu führen, so etwa zum Thema Sauberkeit. Daß zum Beispiel Aspekte zur Entwicklung der weiblichen Sexualität meiner Tochter fehlen, liegt daran, daß ich bewußt all diese Erlebnisse und Feststellungen des Kindes nicht in das hier vorgelegte Tagebuch aufnahm. Sie sind wohl in meinen handschriftlichen Tagebuchnotizen vorhanden, aber das Thema und die Schlußfolgerungen daraus erwiesen sich als so umfangreich, daß dazu ein eigenes Buch geschrieben werden könnte.

Das Tagebuch
März 1981 (4. Schwangerschaftsmonat)
    Ich erfahre nach der Fruchtwasser-Untersuchung, daß mein Kind ein Mädchen ist.
    Ich habe das Gefühl, als müßte ich das fertige Bild, die in mir vollkommen gebildete Gestalt des Mädchens nur noch aus der Schublade holen. Sie ist bereits geboren, denn meine Phantasie hat sie schon gestaltet: ein schönes, starkes, selbstbewußtes, lebhaftes und intelligentes Geschöpf. All die Eigenschaften, die sie brauchen wird und haben muß, um nach meinen Vorstellungen in einer Männergesellschaft erfolgreich und glücklich zu werden.
    Klaus dagegen hat in seiner Vorstellung ein liebes, süßes, anschmiegsames kleines Mädchen, mit dem er viel kuscheln und schmusen kann.
1981 (Schwangerschaft)
    Es gibt Frauen, die während der Schwangerschaft keine Flek-ken, keine Pickel, keine Streifen bekommen und auch nicht sehr dick werden, sondern einfach schön. Ich gehöre dazu und fühle mich auch sehr schön. Das erste Mal in meinem Leben bin ich rundherum - im wahrsten Sinne des Wortes -mit meinem Äußeren zufrieden.
    Ich bestelle mir in einem Maßatelier teure Kleider aus reiner Seide für die Schwangerschaft, ich kaufe mir herrliche weite Seidenblusen und schwelge in Schönheit und Luxus. Obwohl ich natürlich weiß, daß es dafür eine rationale Begründung überhaupt nicht geben kann, bin ich beseelt von dem Gedanken, daß meine Schönheit mit ihr im Bauch auch ihre Schönheit sein wird. Ich will so schön wie irgend möglich sein, und zwar nur für sie, andererseits empfinde ich gerade, daß sie es ist, die mich schön macht. Ich befinde mich mit meiner Tochter in einem totalen Identifikationszustand, der sich in der Schönheit ausdrückt. Mit einem Buben im Bauch wäre das
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