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Typisch Mädchen

Typisch Mädchen

Titel: Typisch Mädchen
Autoren: Marianne Grabrucker
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interessieren uns für das gleiche, wir wollen das gleiche.« Mit dieser grundsätzlichen Einstellung wird dem neugeborenen Mädchen von Anfang an begegnet. Ich habe Bedenken, ob wir auf diese Weise die unserem Geschlecht vorgegebenen Grenzen überschreiten können. Eine Revolution steht jedenfalls nicht bevor, so scheint mir.
19. August 1981 (Geburt)
    Als ich sie das erste Mal anschaue, ihr ins Gesicht schaue und sie mir in die Augen - sie liegt noch auf meinem Bauch und ist gerade abgenabelt worden -, denke ich: »Sie ist schön, sie hat ein wohlproportioniertes Gesicht, sie ist hübsch.« Eine große Erleichterung überkommt mich angesichts dieser Feststellung, und ich fühle und denke: »So wird sie es erst einmal ein bißchen leichter in ihrem Leben haben.« Ich denke dabei natürlich an die eigene Erfahrung, daß eine Frau, um überhaupt eine Existenzberechtigung in dieser Männerwelt zu haben, gut aussehen muß. Nur dann darf sie den Mund aufmachen, Forderungen stellen, ohne verspottet oder ausgelacht zu werden (mehr als sowieso schon), darf etwas »wollen«, darf sich wünschen und aussuchen, muß sich nicht bescheiden mit dem, was man(n) ihr freiwillig abgibt. Sie darf fordern von den Männern, weil sie etwas zu bieten hat. Das gilt natürlich auch für die Partnerwahl. Ich bin voll der unbewußten Angst für meine Tochter, daß ihr Schicksal als Frau irgendwann doch wieder von einem Mann abhängen könnte, vom Wohlwollen und Verständnis des jeweiligen Dauerpartners, und fürchte, daß dies nur dann gut für sie verlaufen wird, wenn sie sich den »Besten« aussuchen kann und nicht nehmen muß, was sich ihr anbietet. Viele eigene Ängste und Probleme, die ich längst überwunden glaubte und vergessen hatte, erwachen wieder mit dem neuen Leben. Offensichtlich hatten diese Ängste reinster patriarchalischer Prägung nur geschlummert, und ich bin im Innersten bereit, sie auf die nächste Generation zu projizieren.
    Ein junger befreundeter Arzt, den ich bisher wegen seiner kritischen Einstellung zur Schulmedizin sehr schätzte, begegnet uns auf der Straße. Als Klaus ihm von Annelis Geburt erzählt, ist folgende Reaktion zu hören: »Na dann gratulier ich dir trotzdem mal!« Dabei klopft er Klaus tröstend auf die Schulter. Ich verstehe erst nicht, bin dann tief verletzt und erniedrigt und empfinde meine Tochter für den Bruchteil einer Sekunde als ein Nichts, zumindest aber als ein Wesen, das leicht zu übersehen ist.
    Ob Neugeborene für solche Stimmungen Sensoren haben? Ich wünsche ihr weniger Sensibilität, als Leboyer sie bei Babys annimmt.
12. September 1981 (3 Wochen)
    Helga, eine Kindergärtnerin aus der Nachbarschaft, kommt zu Besuch, um Anneli das erste Mal zu sehen. Sie erzählt aus gegebenem Anlaß von den beiden Geburten ihrer Töchter und beschreibt das Aussehen der Neugeborenen. »Christine sah ja wirklich schlimm aus; wie ein Bub so häßlich; an dem Baby war gar nichts Niedliches, Mädchenhaftes. Der ganze Gesichtsausdruck war so männlich. Man hätte sie glattweg für einen Buben halten können. Ich sagte zur Schwester in der Klinik immer: >Ach, Schwester, bringen Sie mir doch meinen häßlichen Männchen-Zwerg.< Sabine dagegen war ein süßes kleines Mädchen; so schön und niedlich und hatte so ein glattes, rosiges, weiches Gesicht. Sie war von Anfang an ein richtiges kleines Mädchen, so hübsch. Das war doch gleich etwas ganz anderes als bei Christine. Bei Sabine wußte man wenigstens gleich, daß sie ein Mädchen war.« Wenn ich meine neugeborene Tochter und andere Neugeborene daraufhin nun ansehe, so frage ich mich, wie ich im Gesicht des Babys das Geschlecht feststellen soll. Mir kommen die kleinen Buben genauso verschlafen, rotfleckig, pickelig und faltig vor wie die kleinen Mädchen. Ich suche männliche Markanz und entschlossenen, dynamischen Gesichtsausdruck in den Zügen der Buben und finde nichts anderes als  Hilflosigkeit und Liebebedürftigkeit - wie bei den Mädchen.
    Irre ich mich und sehe das alles nicht, weil ich Feministin bin, oder projizieren die anderen die Männlichkeit in die kleinen neugeborenen Buben?
Stillen
    Ich unterhalte mich öfter mit einer Bekannten, deren Sohn vier Wochen nach Anneli geboren worden war, über das Stillen, und wir beschließen, die Kinder jedenfalls drei Monate lang zu stillen - trotz aller Probleme. Wir sehen uns nach längerer Zeit im Februar 1982. Sie hat in der Zwischenzeit ihren Sohn abgestillt und erzählt es mir gleich. Ich jedoch
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