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Typisch Mädchen

Typisch Mädchen

Titel: Typisch Mädchen
Autoren: Marianne Grabrucker
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anfangs üben, sich Zwang anzutun, damit es sie niemals schwer ankomme, alle ihre Launen zu bezähmen, um sie dem Willen anderer zu unterwerfen.« 2
    Mich erinnert dieser Bericht von Isabell an das empirisch belegte unterschiedliche Verhalten des Lehrpersonals an Schulen gegenüber Mädchen und Buben: 3 Wer mehr schreit, bekommt auch tatsächlich mehr Aufmerksamkeit und wird für wichtiger gehalten. Isabell fährt fort:
    »Auch jetzt ist es noch so, daß ich Sarah mehr auf sich selbst und ihre innere Selbständigkeit verweise. Ben dagegen stehe ich eher psychisch zur Seite und helfe ihm. Er ist einfach der Zartere, ich meine, seelisch gesehen, und da braucht er eben schneller Beistand. Bei Sarah, da weiß ich, die ist mein starkes Mädchen, die kommt mit sich und ihrer Umwelt viel eher' klar. Da hab ich volles Vertrauen in ihre Stärke.« Etwas später im Gespräch bedauert Isabell, daß Ben manchmal mit seinen drei Jahren schon ganz schön »mackerhaftes Verhalten« zeige, sie darüber wütend werde und sich wundere, woher das komme. Auch ich bin überzeugt davon, daß Isabell als Feministin keinen Mann-Mann aufziehen will und wollte. Doch wird hier nicht eine in das Mädchen hineinpro-jizierte Stärke zu seinem Nachteil ausgenutzt? Wird der Bub nicht zur Stärke, zu Selbstvertrauen und Sicherheit mit der Kraft der Mutter und auf Kosten der Schwester hochgepäppelt?
9. November 1981 (3 Monate)
    Ich sitze mit einer Freundin, die ihr zweites Kind - einen Sohn - zur ersten Vorsorgeuntersuchung bringt, beim Kinderarzt. Ihr erstes Kind ist eine Tochter. Der Kinderarzt ist der Szene-Arzt in München. Er wird zu den Hausgeburten hinzugezogen, und alle schwärmen von seiner alternativen Art, mit Kindern umzugehen. Die Tür geht auf, der Herr Doktor betritt den Raum und begrüßt Uschi strahlend mit den Worten: »Na, meine Glückwünsche. Ist ja wieder alles gutgegangen. Ist das jetzt nicht ein besonders schönes Gefühl, als Frau einem Mann das Leben geschenkt zu haben?« Ich stehe daneben und bin bloß eine Tochter/Frau-Mutter, wie Uschi es bisher war.
    Auch bei Anneli nahm er die erste Neugeborenenuntersu-chung nach der Hausgeburt vor. Ob er wohl alle Neugeborenen gleich behandelt, frage ich mich jetzt.
Winter 1981 /82 (3 bis 7Monate)
    Ich treffe mich regelmäßig mit einer Kollegin, einer Rechtsanwältin, die drei Wochen nach der Geburt von Anneli einen Buben geboren hat.
    Karin bewundert Anneli jedesmal sehr und spricht davon, wie hübsch sie sei, wie zierlich und wie graziös ihre Beinhaltung; sie sei bestimmt begabt fürs Ballett. Sie bewundert sie wegen ihrer langen Wimpern und blauen Augen. Sie phantasiert, wie Anneli später einmal mit ihren Klimperaugen, ihrem Lächeln und ihrer ganzen Puppengestalt den Männern den Kopf verdrehen wird und wie die Männer hinter ihr her sein werden. »Anneli wird die Männer um den Finger wik-keln können«, sagt sie.
    Nichts dergleichen - weder von mir noch von der Mutter selbst - in bezug auf ihren Sohn. Keine von uns projiziert irgendwelche Zukunftsvorstellungen hinsichtlich seines Aussehens und seines Marktwertes bei den Frauen auf ihn. Über ihn belustigen wir uns dagegen, wenn er beim Wickeln in hohem Bogen pinkelt, oder wir bereden schlicht und einfach sein Hunger- und Schlafverhalten.
    Ich unterhalte mich später mit Uschi, der Mutter der einjährigen Annalena, und sie erzählt dieselbe Geschichte. Bei Besuchen einer Freundin mit Sohn wird erst über Annalenas herziges Aussehen gesprochen-und zwar in erster Linie-, um dann anschließend das Können des Jungen, seine Entwicklungsfortschritte zu erörtern.
    Mir fällt dazu Margaret Mead 4 ein: Das Mädchen ist allein schon durch seine Existenz für die Gesellschaft, den Stamm, wegen der Fortpflanzungsfunktionen wichtig genug. Daraus resultiert sein Selbstbewußtsein. Es bedarf nicht noch zusätzlicher Leistungen wie bei den Buben und Männern, um die Existenzberechtigung zu beweisen.
    Liegen in unseren Verhaltensweisen Rudimente einer solchen Einstellung? Das Mädchen wird allein wegen seiner Existenz, seiner Schönheit bewundert, der Bub muß erst etwas zeigen, das über sein Da-Sein hinausgeht, um Aufmerksamkeit zu erregen; er muß sich selbst über das Spiel mit Gegenständen und das Erlernen von Fertigkeiten definieren.
August 1982 (1 Jahr)
    Ich beobachte in letzter Zeit häufig, daß Anneli mit ihrer Scheide spielt, sich auch mal nackt auf den großen Teddybären setzt und vergnügt auf ihm herumreitet. Sie beschäftigt
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