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Typisch Mädchen

Typisch Mädchen

Titel: Typisch Mädchen
Autoren: Marianne Grabrucker
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erfahren anhand dieses Buches mehr über Lernprozesse der ersten drei Jahre im Hinblick auf geschlechtsspezifische Unterscheidungen als in so manchem theoretischen Werk. Wir lernen, wie die unterschiedliche Rollenzuweisung für Mädchen und Jungen, Frauen und Männer praktisch inszeniert wird, und zwar in Alltagssituationen; wie sie da immer wieder hergestellt, verfestigt, zementiert wird, in den kleinen Begebenheiten, Äußerungen, Interaktionen, Szenen, tagtäglich, unbemerkt. In diesem Tagebuch wird die Konstruktion unserer unterschiedlichen Welten und die Tatsache, daß es eine Konstruktion ist und kein Naturgesetz, keine Notwendigkeit, plötzlich faßbar. Wir nehmen Dinge wahr, die wir vorher nicht sahen, nicht hinterfragten; und da sie nicht isoliert sind, sondern in Häufung auftreten, und da sie System haben, gewinnen sie an Bedeutung. So ist dieses Buch auch für mich als Linguistin bedeutungsvoll: Es zeigt, daß das patriarchale System, das sich in der Sprache und in der Gesprächswelt niederschlägt, durchgängig ist. So wie Männer in der Sprache im Vordergrund stehen, das Maskulinum die Norm ist, und so wie Männer in Gesprächen mehr Raum haben und Frauen sie durch ihre Gesprächsarbeit unterstützen, so sind auch schon kleine Jungen mit ihren Interessen wichtiger, sie werden gefordert und gefördert, eine Atmosphäre wird hergestellt, in der sie Raum haben und sich entwickeln können. Sie erfahren Unterstützung in ihren autonomen Bestrebungen, und die Mädchen müssen die Arbeit der Anpassung, der Entsagung, der Rücksichtnahme leisten. Unsere unterschiedlichen Erwartungen und Bewertungen sind schon hier im Spiel.
    Wo der Junge seinen Weg um das Schaukelpferd verfolgt, Autonomie, Stärke, Durchsetzungsvermögen zeigt, gibt das ausweichende Mädchen nach, unterwirft sich seinem Willen, stellt ihre Wünsche zurück, paßt sich an, ist schwach. Zur Belohnung darf sie das Sprichwort »Die Klügere gibt nach« auf sich anwenden.
    Ähnlich wie in der Gesprächswelt ist auch hier eine neue Sicht, eine Umbewertung nötig: Das Mädchen löst ein Problem, nimmt die Situation wahr, schätzt sie korrekt ein, antizipiert den Zusammenstoß und vermeidet ihn, um die Beziehung intakt zu halten, verhält sich also human und sensibel. Der Junge ist unfähig, das Problem wahrzunehmen und zu lösen, er ist unsensibel, unvorsichtig, rücksichtslos, nicht fähig, auf eine andere Person, ihre Bedürfnisse und Interessen einzugehen. Die Kompetenz und die Leistung liegen also bei dem Mädchen; sie positiv zu bewerten, ist unsere Aufgabe. Der Junge dagegen müßte lernen, sich auf andere zu beziehen. Sein Verhalten ist defizient.
    Wo ein Junge sich in eine Situation stürzt ohne Gefühl für Gefahr für sich oder andere und wir ihn als furchtlos, aktiv, mutig, eben als richtigen Jungen bewerten, ein Mädchen dagegen als ängstlich, weil es gesunde, der Situation angemes-sene Zurückhaltung zeigt, müssen wir unsere Bewertungen und Reaktionen ändern.
    Dieses Buch öffnet uns die Augen, gibt uns eine neue Sehweise und hilft uns dabei, die Umbewertung zu lernen. Die Autorin, Juristin und, wie alle Frauen, Hausfrau, besteht der Umdefinition halber darauf, daß sie dieses Buch als Hausfrau verfaßte. Sie nutzte die Zeit ihrer Beurlaubung, um als Hausfrau feministische Wissenschaft zu betreiben und einen Aspekt unseres Frauenlebens zu erfassen. Es berührt mich, daß es ihr jetzt, wo sie wieder in ihrem Beruf arbeitet, nicht möglich ist, eine Fortsetzung dieses Tagebuches oder neue Tagebücher zu anderen Themen wie weibliche Sexualität oder weibliches Selbstbewußtsein, die jetzt bei ihrer Tochter relevant werden, zu schreiben. Alle ihre emotionale und kreative Energie muß sich nun darauf konzentrieren, Beruf und Familie und persönliche Interessen zu vereinbaren. Wieviel mehr Wissenschaft, Wissen über uns Frauen wäre möglich, wenn Frauen nicht all ihre kreative Energie für Familie und Beruf geben müßten. Wie viele Bücher von Frauen bleiben ungeschrieben, wie viele gute Ideen unverwirklicht, weil uns am Tagesende keine Zeit und Kraft mehr bleibt, um kreativ zu sein, nachdem wir tagsüber Beruf und Kindererziehung erledigt haben.
    Marianne Grabrucker wollte ihr Kind nicht zu einem braven, zahmen Mädchen erziehen, »sie sollte nach den Sternen greifen«, war ihr Wunsch für ihre ungeborene Tochter. Dann wurde die Tochter in diese Welt geboren. In einem Brief vom April 1984 schreibt mir Marianne Grabrucker: »Übrigens
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